Totgesagt
Inzwischen hatten Sie die noble, aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg stammende Villa ihrer Tante hinter sich gelassen. Ringsum lag nur noch offenes Feld.
“Fahren Sie rechts ran!”, befahl er. “Damit Sie mich ansehen können! Ich will mich überzeugen, ob Sie mich überhaupt verstehen.”
Anfangs dachte er, sie werde ihn einfach ignorieren. Er setzte schon an, ihr zu sagen, sie müssten sich dringend unterhalten. Doch ehe er einen Ton hervorbringen konnte, riss sie völlig unvermutet das Lenkrad nach rechts, sodass sie um ein Haar im Straßengraben gelandet wären. Hektisch stellte sie die Automatik auf “Parken”, ließ den Motor im Leerlauf, stieg aus und marschierte davon.
Was sollte denn das nun wieder, zum Teufel?
“Maddy!”, rief er ihr hinterher. “Kommen Sie zurück! Sie haben behauptet, Sie stehen voll hinter dieser Ermittlung! Wissen Sie noch? Sie wussten, auf was Sie sich einlassen! Sie sagten aber, die Wahrheit müsse ans Licht!”
Sie drehte sich nicht einmal um. “Nehmen Sie den Wagen und fahren Sie zurück.”
“Hören Sie!”, bekniete er sie. “Das hier ist eine Ermittlung! Die muss ich objektiv durchführen. Sie zahlen mir eine Stange Geld. Da darf ich mich nicht selber knebeln, indem ich nur die Leute befrage, bei denen Sie nichts dagegen haben, wenn sie im Knast landen. Falls Sie das erwarten, ist das Ganze pure Zeitverschwendung. Da hat Ihre Tante recht.”
Das Kreuz trotzig durchgedrückt, stapfte sie stur weiter.
“Ich kenne nur eine Ermittlungsmethode”, rief er. “Und danach muss ich alles und jedes hinterfragen!”
Jetzt endlich wandte sie sich um. “Ich soll also zulassen, dass Sie den Ruf meines Vaters zerstören? Mit Fragen, die nichts mit seinem Verschwinden oder mit seinem potenziellen Mörder zu tun haben? Verstehen Sie denn nicht, dass sein guter Ruf das Einzige ist, was mir geblieben ist? Dass ich ertragen musste, wie außer ihm jeder, aber auch jeder, der mir lieb und teuer ist, verdächtigt und angezweifelt wurde? Und nun kommen Sie daher und stempeln ihn zu …” – ihre Stimme zerfloss zu einem Schluchzen – “… zu einem Sittlichkeitsverbrecher! Unterstellen ihm, er könne sich an meiner eigenen Schwester vergangen haben.”
Er raufte sich die Haare. Was er am Morgen in den Tagebüchern ihrer Mutter gelesen hatte, das stimmte ihn besorgt. Hinter dem Verschwinden des Reverend steckte mehr als nur ein simpler, aus dem Ruder gelaufener Überfall – oder eine Ehefrau, die hinter der Lebensversicherung her war.
“Und was ist mit dem Dildo?”, fragte er. “Irgendwoher muss der doch stammen. Gefunden wurde er jedenfalls im Kofferraum Ihres Cadillacs. Zusammen mit der Unterwäsche Ihrer Stiefschwester. Und was schließen wir daraus?”
“Das will ich gar nicht hören!”, schrie sie, wobei sie regelrecht in Tränen ausbrach.
“Ich schließe daraus, dass es vermutlich seiner war. Wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass irgendein unbekannter Triebtäter Ihre Schwester missbraucht hat und die Sachen dann Ihrem Vater ins Auto legte?”
“Hunter, das kann ja alles sein, aber wissen tun Sie nichts!”
“Was meinen Sie wohl, wieso Grace abgestritten hat, belästigt worden zu sein? Um ihrer selbst willen? Oder Ihretwegen?”
“Sie sind entlassen!”, schrie sie ihn an. “Fahren Sie zum Flughafen, stellen Sie mein Auto auf den Langzeitparkplatz! Ich hole es später ab! Kaufen Sie sich für das überschüssige Honorar ein Ticket! Ist mir egal! Hauptsache, Sie sind weg!”
Sie rannte los, aber er holte sie ein, packte sie beim Arm und drehte sie zu sich herum. “Jetzt bin ich also der böse Bube, was?”, herrschte er sie gereizt an. “Oder ist es leichter, mir die Schuld in die Schuhe zu schieben, statt sich der Wahrheit zu stellen?”
“Sie kennen die Wahrheit nicht!”
“Ich vermute, dass Ihr Vater womöglich pädophil veranlagt war.”
Sie holte aus, wie um zuzuschlagen, doch er hielt ihren Arm am Handgelenk fest. Dann fiel jegliche Kampfeslust von ihr ab, und sie ließ die Arme sinken. “Ich kann nicht mehr.” Mit gequälter Miene starrte sie ihn an. “Ich möchte nur …” Erneut hob sie die Hand, diesmal jedoch mit völlig anderer Absicht. Sie berührte seine Wange, strich mit den Fingerspitzen über sein Kinn, seine Lippen, so als könne sie darin Trost finden.
Hunter riss sich zusammen. Der Hunger in ihm war beinahe übermächtig; aber sie war verwirrt und mit den Nerven am Ende. Als sie die Lider hob, schimmerten Tränen
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