Totgesagt
Wagen um die Hausecke auf. Langsam setzte sie rückwärts die lange Einfahrt hinunter.
“Sieh an, ein Lexus”, merkte Hunter an.
Madeline zog ihren Sicherheitsgurt straff. “Wieso hast du sie nicht nach dem Abend gefragt, an dem mein Vater verschwand?” Ein Versehen war das nicht, das wusste sie. Dafür war Hunter zu gerissen.
“Aus zwei Gründen.”
Sie ließ den Motor an. “Erstens?”
“Weil sie unter Garantie damit gerechnet hat. Vermutlich wurde ihr diese Frage schon x-mal gestellt.”
“Und zweitens?” Madeline ließ den Wagen anrollen.
Sag mir jetzt bloß nicht, dass auch sie ein Geheimnis hat!
“Hast du schon mal mit Kartoffelkäfern gespielt?”, fragte er.
Madeline guckte ihn perplex an. “Womit?”
“Mit Kartoffelkäfern. Wenn man die anpikst, rollen sie sich zu einer Kugel zusammen.”
“Und du meinst, das hätte Grace dann auch getan?”
“Exakt. Und wir hätten gar nichts davon gehabt.”
Schweigend fuhr Madeline weiter bis zum Stadtrand. Als sie die Leuchtreklame mit dem Schriftzug “Zimmer frei” am
Blue Ribbon Motel
sah, stellte sie die Frage aller Fragen. “Ja … meinst du, sie weiß mehr, als sie uns verrät?”
“Ja.”
Eine ungute Vorahnung beschlich sie. “Wie willst du das denn aus dem kurzen Gespräch von eben herausgehört haben?”
“Habe ich gar nicht”, sagte er.
Wieder sah sie ihn fragend an.
“Bedaure, Maddy, aber es sieht nicht gut für sie aus.”
Grace zitterten die Hände, als sie Clay von unterwegs auf dem Handy anrief.
Er nahm gleich beim ersten Klingeln ab. “Hallo?”
“Wir haben ein Problem”, sagte sie. “Dieser Ermittler von Madeline …”
“Was soll mit dem sein?”
“Der ist noch besser, als wir dachten.”
15. KAPITEL
H unters Gepäck war endlich eingetroffen. Den Blick auf seinen schwarzen Koffer gerichtet, saß er im
Blue Ribbon
auf seinem wackligen Bett und spielte gedankenverloren auf seiner Gitarre. Eigentlich brauchte er Schlaf, damit er sich gleich am nächsten Morgen wieder an den Fall Barker machen konnte. Doch irgendetwas ließ ihm keine Ruhe. Was genau, das wusste er nicht. Vermutlich kamen da mehrere Dinge zusammen. Die Nachricht auf Madelines Anrufbeantworter beispielsweise. Die Begegnung mit Mike Metzger.
Die Tatsache, dass er jetzt am liebsten mit Madeline im Bett gelegen hätte …
Er war versucht, sie anzurufen – und wenn schon nicht sie, dann Maria. Er nahm sich vor, gleich nach Erledigung des Auftrags wieder nach Hause zu fliegen und darum zu kämpfen, das Sorgerecht für seine Tochter zu bekommen. Auch wenn sie momentan kein Wort mit ihm sprach. Er wusste jedoch, dass er ihr dadurch die Lebensfreude verderben würde und sie ihn dann womöglich noch mehr verabscheute. Antoinette war zwar nicht gerade eine Vorzeigehausfrau, doch eine Rabenmutter auch wieder nicht. Ein solches Hickhack war also nicht zu verantworten. Natürlich könnte er ein Besuchsrecht gerichtlich durchsetzen, aber Maria wollte das gar nicht. Jedenfalls gegenwärtig nicht. Angesichts so vieler Nackenschläge war eigentlich ein Drink fällig.
Der Billardsalon lag nur einen Häuserblock entfernt, bequem zu Fuß zu erreichen.
Er stellte sich schon vor, was ihn erwartete: Gedränge, Musik, schummrige Beleuchtung. Wenn es dort aussah wie in einer ganz normalen Kneipe, konnte man sich still und heimlich in einen dunklen Winkel verdrücken und so gut wie unerkannt bleiben. Sogar in Stillwater.
Denk an was anderes! An deinen Auftrag!
Er hatte die von Madeline erhaltenen Polizeiakten auf dem Fußboden gestapelt – ein Riesenstapel Lesestoff, wie er stirnrunzelnd erkannte. Ein kompletter Karton, dahinter noch zwei weitere. Da machte er sich am besten gleich ans Werk. Madelines Tagebuch wartete auch noch auf ihn.
Er stellte die Gitarre zur Seite und hängte sein vom Duschen feuchtes Handtuch auf. Dann wischte er sich das nasse Haar aus der Stirn und fingerte die Aussageprotokolle von Bonnie Ray Simpson – der Nachbarin, die gleich gegenüber der Farm wohnte – aus dem Hefter. Laut Niederschrift war sie “einigermaßen sicher”, dass sie gesehen hatte, wie die “Scheinwerfer” von Lee Barkers Auto am Abend seines Verschwindens in die Einfahrt schwenkten.
Leider halfen ihm weder “einigermaßen sicher” weiter noch die “Scheinwerfer”. Von denen hatte ja jedes Auto zwei.
Er heftete das Protokoll in den Ordner zurück und widmete sich dem nächsten. Es war unterschrieben von Nora Young und Rachel Cook.
Nachdem die
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