Totgeschwiegen (Bellosguardo)
unberechenbar. Wie bitter, dass noch nicht mal die eigene Mutter, ihrem Sohn geglaubt hatte. In diesem Moment liebte Anna ihn mehr als je zuvor. Mit ihrer Hilfe würde er es schaffen, die schreckliche Geschichte zu vergessen. Da war sie sich sicher.
24
Anna betrachte sich im Spiegel. Das schwarze , kurze Cocktailkleid von Chloe passte ihr wie angegossen.
Chloe hatte Anna beim gemeinsamem Frühstück gebeten, mit ihr in den Ankleidebereich zu kommen. Domenik hatte sofort interveniert. Heftig und bestimmt hatte er Anna aufgefordert, ihn kurz mit seiner Mutter allein zu lassen. Sie war umgehend aufgesprungen, hatte die große Wohnküche verlassen und war zurück in sein kleines Apartment gegangen.
Sie hatte die Tür nicht geschlossen und so war sie Zeuge eines heftigen Wortwechsels geworden.
„Domenik, deine Freundin braucht ein Kleid für heute Abend. Das ist dir doch klar. Wo ist also das Problem?“
„Gib mir einfach ein paar Kleider und dann kann Anna sie bei mir im Schlafzimmer anprobieren.“
„Domenik, ich gebe ihr schon nichts, was zu ausgeschnitten ist.“
„Das möchte ich lieber selbst sehen.“
„Domenik, sie ist ein hübsches Mädchen und das darf sie auch zeigen.“
„Ich will aber nicht, dass sie aussieht wie eine Hure.“
„Trägt sie deswegen diese Rollkragenpullover? Zwingst du sie dazu oder ... Nein, bitte Domenik, sag mir nicht, dass du schon wieder ...“ Chloe war laut geworden. „Du hast mir versichert ...“
Danach war eine Tür zugefallen und Anna hatte nichts weiter von dem Gespräch mitbekommen.
Sie hatte sofort gewusst, warum Domenik nicht wollte, dass sie vor Chloe Kleider anprobierte. Noch immer waren ein paar der Knutschflecken auf ihrer Haut sichtbar. Aber was meinte Chloe mit „dass er schon wieder ...“? Ging es um seine Eifersucht? Was hatte er seiner Mutter versichert? Sollte sie Domenik fragen? Aber dann wüsste er, dass sie das Gespräch belauscht hatte. Und dann würde er wütend werden. Nicht umsonst hatte er sie aus der Küche geschickt.
Schließlich war er mit drei schwarzen Cocktailkleidern im Arm wieder in seine n Wohnbereich zurückgekehrt.
Anna hatte sie in Empfang genommen und eins nach dem anderen vor dem verspiegelten Kleiderschrank anprobiert.
Beim ersten Kleid hatten sich Domeniks Augen zu Schlitzen verengt. Das Kleid hatte Anna an sich sehr gut gefallen. Es hatte sich eng an ihren Körper geschmiegt und ein eingenähter Push-Up-BH hatte ihren nicht gerade großen Busen um einiges fülliger aussehen lassen. Allerding hätte sie bei diesem Kleid einige Arbeit mit dem Abdecken der Flecken auf Dekolletee und Hals gehabt.
Erst beim dritten Kleid war sein Blick weicher geworden. Dieses Kleid hatte einen U-Boot Ausschn itt, kurze Ärmel und endete knapp über dem Knie. Züchtig aber elegant. Die paar Flecken am Hals würden auch nicht groß auffallen.
„Du siehst wunderschön aus“, murmelte Domenik. „Aber ohne Kleid gefällst du mir noch besser.“ Er war hinter sie getreten und fing an, ihren Hals zu küssen. Sie betrachtete ihn im Spiegel, während er langsam den Reißverschluss auf ihrem Rücken öffnete. Er sah umwerfend gut aus. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Berührung seiner Hände, die ihren nackten Rücken streichelten. Ein wohliges Prickeln durchfuhr ihren ganzen Körper. Warum musste er nur so eifersüchtig sein? Als ob sie einen anderen überhaupt ansehen würde. Elektrisiert atmete sie seinen Geruch ein.
Die großzügige Eingangshalle, das Wohnzimmer, die angrenzende Bibliothek und das Esszimmer hatten sich bereits mit den sehr eleganten Gästen gefüllt. Zwischendrin verteilten Kellner in Uniform Champagner und exquisites Fingerfood. So eine Party hatte Anna noch nie miterlebt. Ihre Eltern hatten nur selten Partys gegeben und wenn, dann waren die Gäste eher zwangslos gekleidet gewesen.
Anna fühlte sich wie in dem alten Hollywood Film „Die oberen Zehntausend“, den sie mal mit ihrer Mutter gesehen hatte. Was sie wohl sagen würde, wenn sie Anna jetzt sehen könnte?
Domenik sah entspannt und gutgelaunt auf das bunte Treiben. In seinem schwarzen Smoking sah er filmreif aus. Für ihn war das hier nicht Hollywood, sondern einfach sein Zuhause.
„Feiert ihr immer so rauschende Feste?“
„Meine Mutter feiert einmal im Jahr eine große Silvesterparty. Aber erst seitdem mein Vater gestorben ist. Sie sagt immer, so kann sie das alte Jahr gebührend verabschieden – egal, ob es gut oder
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