Totgeschwiegen (Bellosguardo)
damit. Allerdings wollte sie zuerst nicht mit mir gemeinsam in den Ankunftsbereich gehen wegen diesem Typen. Habe sie dann aber doch dazu überredet. Oma fand ihn sehr höflich und gutaussehend. Ich glaube, der ist nicht ganz sauber.
Wieso nicht ganz sauber?
Ein Typ, der solche Nachrichten schreibt, ist nicht ganz sauber. Er hat Anna angesehen, als ob sie sein Eigentum ist.
Isabelle hatte daraufhin wieder überlegt, mit Alexander zu sprechen. Aber sie hatte es abermals unterlassen. Wie konnte sie auch ihre Bedenken bei ihm anbringen, wenn er seine Tochter bereits nach Hamburg hatte fliegen lassen? Er hätte ihr den berechtigten Vorwurf gemacht, dass sie ihm schon viel eher etwas hätte sagen müssen.
Und vielleicht war ihre Sorge ja auch völlig übertrieben. Vielleicht hatten Anna und dieser Domenik einfach nur eine sehr leidenschaftliche Liebesbeziehung mit zuweilen deftigen Streitereien und Eifersuchtsszenen. Sie hatte ja auch nicht den Eindruck gehabt, dass Anna nach der Beleidigung in Kummer versunken war. Und wie Constantin geschrieben hatte, war Anna noch nicht einmal bestürzt darüber gewesen, dass sie von der Nachricht Kenntnis hatten.
Und dennoch. Isabelle wurde aus Anna nicht schlau. Alexander beschrieb sie als sensibel und schüchtern. Und dieses Mädchen sollte eine derart leidenschaftliche Beziehung führen?
Stille Wasser waren ja bekanntlich tief. Aber sie war doch erst 17. Irgendwie passte es nicht zusammen.
Isabelle hatte nur eine Option. Den lockeren Kontakt, der zugegeben noch sehr oberflächlich war, irgendwie intensivieren. Und das konnte sie nur schriftlich per Mail oder WhatsApp tun. Bis sie Anna wiedersehen würde, wäre es bereits März.
Drei Monate später
Leise schlich sie sich in den Waschraum. Hoffentlich war noch keines der anderen Mädchen wach. Vorsichtig zog sie ihr T-Shirt über den Kopf und wagte einen Blick in den Spiegel über dem Waschtisch. Ihre Brust war übersät mit dunkelroten Flecken. Sie würde heute wieder den schwarzen Rollkragenpullover anz iehen müssen.
Langsam drehte sie sich vor dem Spiegel um und ging ein Stück zurück, damit sie möglichst viel von ihrem ganzen Körper betrachten konnte. Sie schob ihren Slip ein Stück nach unten und begutachtete die blauen Flecken auf ihrem Po. Noch waren sie frisch und dunkel. Es würde einige Zeit dauern , bis sie über die Stadien grünlich zu gelblich mutieren würden, um schließlich zu verblassen. Aber bis es soweit war, würde ihr Körper sowieso schon wieder mit frischen Blutergüssen übersät sein.
26
„Anna, was ziehst du auf der Party an?“ Lara stand im Zimmer und begutachtete stirnrunzelnd den vor ihr ausgebreiteten Klamottenberg.
„Ähm, weiß noch nicht.“ Abwesend sah Anna von ihren Matheaufgaben auf.
„Du gehst doch hin, oder etwa nicht?“ Lara sah sie eindringlich an.
„Ähm, weiß noch nicht.“
„Wie, du weißt noch nicht? Endlich gibt es hier mal eine vernünftige Party und du weißt nicht, ob du hingehen sollst?“ Lara ging einen Schritt auf Anna zu und rüttelte an ihrer Schulter. Anna zuckte bei der Berührung unwillkürlich zusammen und zog ihren Rollkragenpullover ein Stück höher. Ihre Freundin hatte unwissentlich gegen einen ihrer blauen schmerzenden Flecken gestoßen.
„Ach Lara, bitte lass mich. Ich muss noch meine Hausaufgaben fertig machen.“
„Anna, die Party ist morgen. Bis dahin wirst du ja wohl alle Hausaufgaben erledigt haben. Du sitzt nur noch im Zimmer oder hängst bei Domenik rum. Du musst dich endlich mal wieder amüsieren.“
„Mir ist im Moment nicht so nach Party.“ Anna wandte sich wieder ihrem Schulheft zu.
„Dir ist nicht nach Party, oder will Domenik nicht, dass du hingehst?“
Anna sah starr auf ihr Heft.
„Verbietet dir Domenik etwa, hinzugehen?“ Lara baute sich nun direkt neben Anna auf und sah sie fordernd an.
„Nein, natürlich verbietet er es mir nicht. Ich komme vielleicht etwas später ... Ich würde erst noch zu ...“
„Das ist doch nicht dein Ernst. Du willst tatsächlich den Abend bei Domenik auf dem Zimmer verbringen und ihm bei seiner Abivorbereitung zusehen, während wir anderen Spaß haben?“
„Domenik muss sich jetzt voll auf sein Abi konzentrieren und ich unterstütze ihn dabei.“
„Indem du neben ihm sitzt und seine Bleistifte anspitzt? Ich fasse es einfach nicht. Anna, was ist eigentlich los mit dir? Seit den Weihnachtsferien bist du total verändert. Wie eine graue Maus läufst
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