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Totgeschwiegen

Totgeschwiegen

Titel: Totgeschwiegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Novak
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was du tun willst. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich bedaure …”
    “Was?”
    Er brach ab. Aber Grace wusste, was er meinte. Er fühlte sich verantwortlich für das, was in jener schrecklichen Nacht passiert war, als er eigentlich auf sie hatte aufpassen sollen. Sie hatte mehrfach versucht, ihm klarzumachen, dass sie schon lange vorher die Hölle durchlebt hatte. Dass andere Sechzehnjährige wahrscheinlich auch mit ihren Freunden loszogen. Warum auch nicht? Barker war nicht zu Hause, jedenfalls zunächst nicht. Und Clay hatte sowieso nicht gewusst, was auf dem Spiel stand.
    Doch die Konsequenzen seiner Handlungen wogen so schwer, dass sie ihren Bruder einfach nicht überzeugen konnte.
    Vielleicht lag es ja auch daran, dass sie ihn bis zu einem gewissen Grad genauso für die Geschehnisse verantwortlich machte wie sich selbst. Hätte er getan, worum Irene ihn gebeten hatte, wäre er an diesem Abend bei ihr und Molly geblieben – vielleicht wäre der Reverend dann nicht in der Stimmung gewesen
und
hätte keine Gelegenheit bekommen, sich an ihr zu vergehen.
    Grace spürte einen bitteren Geschmack im Mund und griff nach ihrer Handtasche. Solange sie sich in der Stadt aufhielt oder im Haus von Evonne, kam sie gut zurecht. Aber hier draußen auf der Farm, das war zu schwer.
    Sie drehte sich um und zögerte, als sie sah, wie ihr Bruder den Kopf hängen ließ. Wie gern hätte sie ihn getröstet! Sie mussten doch nicht beide leiden. Er war damals noch so jung, so unschuldig, er hatte die Situation einfach nicht richtig einschätzen können.
    Sie zwang sich, ihre Handtasche noch einmal abzustellen, und dann tauchte sie tief in jenen Bereich in ihrem Innern ein, wo der schlimmste Schmerz verborgen lag, und kniete sich vor ihn hin. “Das war nicht das erste Mal, Clay”, gestand sie, als ihre Augen sie trafen. “Was Barker getan hat …” Sie schnappte nach Luft, denn plötzlich spürte sie wieder die Hand ihres Stiefvaters an ihrer Kehle. “Es wurde jedes Mal schlimmer. Irgendwann … hätte er mich wahrscheinlich umgebracht, das glaube ich wirklich. Er konnte das, was er mir antat, nicht mehr viel länger geheim halten. Es war einfach zu … krank.”
    Mitgefühl und Trauer breiteten sich auf dem Gesicht ihres Bruders aus, und sie spürte, wie der Druck in ihrer Brust unerträglich wurde. Wenn Clays Liebe sie doch nur reinwaschen könnte, sie heilen könnte! Sie war nicht schuld an dem, was Barker ihr angetan hatte. Aber ihre Gefühle widersprachen ihrem Verstand. Sie musste doch
irgendetwas
getan haben, was ihn provoziert hatte. Denn er hatte sich niemals an Molly oder Madeline vergriffen.
    “Warum?” Clays Stimme war kaum zu hören. “Warum sollte dich irgendjemand verletzen wollen? Du warst immer so süß, so hübsch. Und du warst doch noch ein Kind, um Himmels willen!”
    “Er hat mich gehasst …” Sie suchte verzweifelt nach den Worten, die tief in ihrem Innern verborgen lagen, zusammen mit den furchtbaren Erinnerungen. “Ich glaube, es war deshalb, weil er mich begehrte und weil er dadurch zur niedrigsten Kreatur auf Gottes Erden wurde, deshalb hat er es getan.” Schweiß rann zwischen ihren Brüsten und ihren Rücken hinab, aber sie schluckte und zwang sich weiterzusprechen. Um Clays willen musste sie über den Missbrauch sprechen, den sie erlitten hatte, alles erzählen, damit er endlich aufhörte, sich schuldig zu fühlen. “Er hat mir die Schuld gegeben an seinen … Perversionen.”
    “Aber warum hast du niemandem etwas davon erzählt?”, fragte Clay. “Mom hätte dir doch geholfen.
Ich
hätte dir geholfen.”
    Diese Frage fürchtete sie von allen am meisten, weil es keine leichte Antwort auf sie gab. Clay, Molly und ihre Mutter wussten nicht, wie es war, sich so machtlos, so ausgeliefert zu fühlen. “Ich konnte nicht”, sagte sie. “Er … er hat mich … bedroht, … mit dem Messer … Er hat gesagt, er würde mich aufschlitzen.”
    “Oh Gott, Grace.”
    Eine Träne lief über Clays Wange. Grace wollte wegschauen. Sie konnte den Anblick nicht ertragen. Sie fühlte sich so schwach und verletzlich, sie konnte keinen weiteren Schmerz mehr aushalten. Aber er blickte so gequält drein, dass sie ihm helfen musste. Clay war sehr groß und sehr stark. Ihn warf so leicht nichts um. Er hatte sie früher immer wieder verteidigt, wenn es sein musste, mit den Fäusten. Aber das hier war einfach zu viel für ihn.
    Sie streckte die Hand aus und strich ihm über die Wange. Sein Brustkorb zitterte,

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