Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totgeschwiegen

Totgeschwiegen

Titel: Totgeschwiegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Novak
Vom Netzwerk:
befürchtete, jeden Moment in Ohnmacht zu fallen.
    “Setz dich hin”, sagte Clay. “Du kannst zusehen, wie ich alles einpacke.”
    “Nein. Das reicht nicht”, murmelte sie. Sie wollte selbst Hand anlegen, um diesen Ort der Schande zu beseitigen. Vielleicht deshalb, weil sie glaubte, sie hätte damals versagt und nicht genügend Widerstand geleistet. Sie hatte sich immer gefragt … Wenn sie weniger gehorsam und durchsetzungsfähiger gewesen wäre so wie ihre Schwestern – wäre sie dann davongekommen? Was an ihr hatte Barker dazu verführt, zu tun, was er getan hatte?
    Da ist ja meine hübsche Kleine. Bleib ganz still, dann wird es dir dieses Mal gefallen. Ich verspreche es dir.
    “Grace?”
    Es kam ihr vor, als wäre es erst gestern passiert. Sie konnte sogar noch seinen Atem riechen …
    Clay rief sie noch einmal, und endlich konnte sie sich von der grausigen Erinnerung losmachen. Sie wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn und drehte sich zu ihrem Bruder um. “Was ist?”
    “Wo sollen wir anfangen?”
    “Hier”, sagte sie. Als sie den Aktenschrank öffnete, fühlte sie sich, als hätte sie ein Beruhigungsmittel genommen. Es gelang ihr kaum, den Arm zu heben, so schwer und kraftlos war er.
    Endlich gelang es ihr, die oberste Schublade aufzuziehen. Sie hatte gewusst, dass sie nicht verschlossen war. Grace warf einen Blick hinein. Clay und ihre Mutter hatten den Schlüssel weggeworfen, in der Nacht, in der sie den Reverend vergruben – gleich, nachdem sie die Bilder zerstört hatten.
    Grace wusste, dass es noch viel mehr gegeben hatte als die, die sie damals fanden. Die Fotos waren für das perverse Verlangen ihres Stiefvaters ganz wichtig. Wahrscheinlich hatte er selbst den Großteil davon weggeschafft, weil er Angst bekam, sie könnten entdeckt werden. Jedenfalls hatte die Polizei bei ihrer Durchsuchung nichts gefunden. Sie hatten andere Gegenstände als Beweismittel mitgenommen – einen Brief ihrer Mutter, in dem sie androhte, sie werde ihn verlassen, wenn er sie nicht besser behandelte; ein von Grace gemaltes Bild von einem Mann, der am Ast eines Baumes hing und ihrem Stiefvater verdächtig ähnlich sah; ein Auszug vom Konto ihrer Mutter, auf dem mehrere geplatzte Schecks dokumentiert waren, was in krassem Gegensatz zu Reverend Barkers gut gefülltem Bankkonto stand; die Police der Lebensversicherung, auf der vermerkt war, dass Irene Montgomery nach dem Tod ihres Mannes 10 000 Dollar bekommen sollte, eine Summe, die sie allerdings nie eingefordert hatte. Abgesehen von den Auszügen und der Versicherungspolice waren das Dinge, die Irene und Clay in der Eile, die Leiche loszuwerden, die Blutspuren zu beseitigen und den Wagen in den Steinbruch zu fahren, einfach vergessen hatten.
    Es genügte, um bei der Polizei einen Verdacht zu erzeugen, reichte aber glücklicherweise nicht aus, um Anklage zu erheben.
    In der kleinen Holzkiste, in der Barker die Fotos aufbewahrt hatte, lagen jetzt nur noch seine Sammlung von Silberdollars, eine Krawattennadel in Form eines Kreuzes und sein Führerschein. Grace’ Hand zitterte, als sie die Dinge berührte. Zwanzig Silberdollar und einige wertlose Schmucksachen, das war alles, was von diesem Menschen übrig geblieben war. Das und eine ganze Menge Hassgefühle, die sich in den wenigen Menschen aufgestaut hatten, die seinen bösen Charakter wirklich gekannt hatten.
    “Betrug!”, rief sie aus und warf die Kiste gegen die Wand. Sie zerbarst und fiel in Einzelteilen zu Boden.
    Clay schaute bei ihrem Wutausbruch auf. Aber er hielt sie nicht auf, als sie alle Schubladen und Ordner aus dem Schrank zerrte und zu Boden warf, den Schreibtisch in Unordnung brachte und die Bilder von den Wänden riss. Sie zerschlug die kleine Klimaanlage, deren Summen direkt neben ihrem Kopf zu hören gewesen war, wenn sie auf dem Boden gelegen hatte und sein Gewicht auf sich gespürt hatte. Auch das Radio hob sie hoch und warf es in hohem Bogen gegen das Fenster.
    Es prallte ab, hinterließ feine Risse im Glas und zersprang auf dem Boden in tausend Teile. Erst dann blieb sie keuchend in der Mitte des Raumes stehen.
    “Besser?”, fragte Clay ruhig.
    Grace starrte ihre Hände an. Sie schmerzten, rote Striemen waren auf den Handflächen zu sehen, so heftig hatte sie zugepackt. “Er pflegte, Big-Band-Musik zu spielen, um mein Wimmern zu übertönen. Er war so ein vorsichtiger Mann. So besorgt um den äußeren Schein.”
    “Er hat seine Strafe bekommen, Grace.”
    “Nein, hat er nicht”,

Weitere Kostenlose Bücher