Totgeschwiegen
nicht dafür entschuldigen.”
Kennedy lächelte vor sich hin. Er hatte doch gar nicht verlangt, dass sie sich entschuldigte. Offenbar kämpfte sie mit sich selbst. “Du magst sie, hab ich recht?”
“Das habe ich nicht gesagt.”
“Aber du magst sie trotzdem.”
“Ich gebe zu, dass sie offensichtlich ein wesentlich besserer Mensch ist, als ich erwartet hatte.” Sie stieß es grollend hervor, aber eine solche Aussage aus dem Mund seiner Mutter wog viel.
“Sie hat ein gutes Herz”, sagte er.
“Und sie sieht gut aus.”
“Findest du?” Er grinste vor sich hin, als er sich daran erinnerte, wie er Grace frühmorgens am Fenster gesehen hatte. “Ist mir gar nicht aufgefallen.”
“Es ist dir sehr wohl aufgefallen. Und das macht mir Sorgen.”
Es war klar, dass sie mit dieser Bemerkung auch auf Kennedys Vater zielte.
“Was sagt Dad denn dazu?”
“Er meinte, du würdest nicht mit deinem Gehirn denken, sondern mit einem anderen Körperteil.”
“Ich habe nicht mit ihr geschlafen, falls jemand das denken sollte.”
Camille wiederholte diesen Satz, und jemand lachte laut im Hintergrund. “Bis jetzt jedenfalls nicht”, brummte Kennedys Vater ins Telefon.
“Das habe ich gehört”, sagte Kennedy ironisch.
Seine Mutter lachte. “Anscheinend zweifelt dein Vater deine Motivation an.”
“Dad soll sich lieber um seine Gesundheit sorgen.”
“Sag ihm, dass ich nichts dagegen habe”, verkündete Otis Archer am anderen Ende. “Es wird dir vielleicht nicht behagen, Camille, aber mir macht es nichts aus. Falls Grace Montgomery ihn glücklich macht, soll es mir recht sein. Er ist sein ganzes Leben lang ein guter Junge gewesen, und ich bin stolz auf ihn. Sehr …” Seine Stimme versagte. “… sehr stolz.”
Kennedy hatte einen Kloß im Hals. Sein Vater war immer sehr streng und diszipliniert. Er zeigte seine Gefühle nicht. Sogar jetzt noch hatte er seine Frau als Mittlerin gebraucht. Seine Worte beeindruckten Kennedy zutiefst.
“Hast du das gehört?”, fragte Camille.
“Habe ich”, antwortete Kennedy. “Ich möchte aber nicht, dass er jetzt schon geht. Sag ihm das bitte, okay? Ich möchte, dass er dabei ist, wenn unsere Jungs groß werden.”
“Das wird er auch.”
“Und sag ihm, dass ich ihn gern habe”, fügte Kennedy hinzu.
“Es wird Zeit, das Büro von Lee Barker auszumisten”, sagte Grace. Jetzt, nachdem sie sich entschieden hatte, in Stillwater zu bleiben, wollte sie ihre Pläne vorantreiben und die Vergangenheit endgültig hinter sich lassen.
Clay antwortete nicht gleich, und sie warf einen Blick durchs Küchenfenster. Ein Hahn stolzierte im Hof zwischen den Hennen herum und pickte hier und da etwas auf. Die verhasste Scheune stand ein Stück weiter, die Tore waren geöffnet. Sie verzog das Gesicht, als ihr Blick darüberschweifte, und schaute darüber hinweg zum Bach, der angenehmere Erinnerungen in ihr wachrief. Jeden Sommer hatte Clay alte Autoschläuche aufgepumpt, und dann waren sie damit zum See gerudert.
Schade, dass nicht alle ihre Erinnerungen an damals so ungetrübt waren …
Sie biss die Zähne zusammen und fragte sich, ob es nicht irgendwo tief in ihr drinnen eine kleine Ecke gab, in die sie alle ihre schlechten Erinnerungen verbannen konnte. Aber tatsächlich war dort kein Platz mehr frei.
“Ich weiß nicht, ob es so schlau ist, dort herumzukramen”, sagte Clay. “Die Leute sind schon aufgescheucht genug, Grace, das weißt du doch.”
“Aber ich kann nicht länger warten”, entgegnete sie. “Hier muss sich endlich mal was ändern. Wenn wir es nicht tun, wird sein Einfluss für immer bestehen bleiben. Das will ich nicht.”
“Und was ist mit Madeline?”
Ihretwegen konnten sie alles, was einstmals Reverend Lee Barker gehört hatte, nicht ganz einfach in Flammen aufgehen lassen. “Du rufst sie einfach an, wenn wir damit fertig sind, und sagst ihr, dass du alles in Kisten verpackt hast. Wenn sie will, kann sie sie ja mitnehmen.”
“Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie es gut findet, wenn wir das ohne sie erledigen. Trotz all diesem Gerede über Mord hofft sie doch immer noch, dass er eines Tages zurückkommt.”
“Sie weiß doch, dass das Unsinn ist.”
“Etwas zu wissen und etwas zu tun sind zwei unterschiedliche Angelegenheiten.”
“Ich
muss
das tun, Clay”, entgegnete sie schlicht.
Clay schaute auf seine großen Hände. Sie waren schmutzig; er hatte die Bewässerungsgräben gesäubert. “Grace, ich würde dich ja gerne tun lassen,
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