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Totgeschwiegen

Totgeschwiegen

Titel: Totgeschwiegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Novak
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dass sie nicht zitterte, bevor sie das Glas anhob, um einen weiteren Schluck zu trinken. Dann wiederholte sie das, was sie schon hundertmal gesagt hatte: “Wenn sein Wagen vorgefahren wäre, hätte ich es doch hören müssen.”
    “Vielleicht warst du ja gerade abgelenkt”, sagte Kirk.
    “Nein. Er … er wollte doch noch unsere Hausaufgaben kontrollieren. Wir haben doch immer auf ihn gewartet, stimmt’s, Madeline?”
    “Eigentlich immer.” Madeline nickte zustimmend.
    Grace atmete tief ein. Sie hatte besonders darauf geachtet, ob er nach Hause kam, mehr als ihre Geschwister. “An diesem dritten August ist er nicht vorgefahren”, stellte sie mit ruhiger Stimme fest.
    “Woran erinnert ihr euch sonst noch?”, fragte Kirk.
    Grace erinnerte sich an mehr, als ihr lieb war. Sie erinnerte sich noch, wie schwierig es gewesen war, sich das klebrige Blut von den Händen abzuwaschen. An den Klang des Spatens, mit dem in der Erde gegraben wurde, den Geruch des Regens und der welken Blätter. Sie erinnerte sich daran, wie sie in einer Wanne mit heißem Wasser saß, vor sich hin zitterte und mit den Zähnen klapperte, während ihre Mutter sie abrieb, als sei sie ein Baby. Und sie erinnerte sich an die rosa Farbe, die das Badewasser angenommen hatte, als sie aus der Wanne stieg.
    Sie verbannte die Erinnerungen aus ihrem Bewusstsein. “Ich weiß nicht”, sagte sie. “Es war ein Abend wie jeder andere.”
    “Komisch nur, dass Jed nicht an der Tür geklopft hat, um sich seinen Lohn abzuholen. Findest du das nicht eigenartig?”, fragte Madeline.
    Das war allerdings eigenartig. Grace wusste nicht, was er gesehen hatte und ob er es jemals erzählen würde. Es war durchaus möglich, dass er den Traktor repariert hatte und anschließend einfach nach Hause gegangen war, so wie er es der Polizei erklärt hatte. Aber es konnte genauso gut sein, dass er viel mehr mitbekommen hatte, als er zugab. “Vielleicht wusste er ja, dass Dad noch nicht nach Hause gekommen war, und wollte uns nicht damit belästigen.”
    “Oder er war zu beschäftigt damit, die Leiche zu verstecken und sich aus dem Staub zu machen”, warf Kirk ein.
    Grace schüttelte den Kopf. “So einer ist Jed nicht. Und ihr habt mir immer noch kein Motiv nennen können. Warum sollte er den in der ganzen Stadt beliebten Reverend denn umbringen?”
    “Er hat ihn ja gar nicht gemocht”, widersprach Kirk. “Wie du dich vielleicht erinnerst, hat er schon einige Monate vor dem Verschwinden des Reverends aufgehört, zur Kirche zu gehen. Eines Tages stand er mitten im Gottesdienst auf, ging weg und kam nie wieder.”
    “Er war aber nicht der Einzige, der nicht mehr zur Kirche ging.”
    “Aber er war der Einzige, der mitten in der Predigt aufstand und ging.”
    “Vielleicht mochte er Dads Predigten nicht.” Grace hatte seine Gottesdienste auch nicht gemocht – nicht, seit ihr klar geworden war, dass das, was aus seinem Mund kam, nicht von Herzen kam.
    “Ich bin manchmal mit Daddy in Jeds Werkstatt gegangen”, sagte Madeline.
    “Gab es Spannungen zwischen ihnen?” Grace wusste, dass dem nicht so war, und nahm einen kleinen Schluck Wein. Ihre Hand blieb ruhig.
    “Irgendetwas stimmte zwischen den beiden nicht. Als Daddy ihn einlud, doch wieder in die Kirche zu kommen, sagte Jed, er hätte von
jemandem wie ihm
schon mehr als genug gehört.” Sie fuhr mit dem Finger über den Rand ihres Glases. “Das klingt doch feindselig, oder?”
    “Aber die Polizei fand keine Hinweise darauf, das Jed etwas mit seinem Verschwinden zu tun haben könnte”, stellte Grace fest. Sie fühlte sich jetzt gefestigt genug, ihren beiden Gesprächspartnern wieder ins Gesicht zu sehen.
    “Sie haben ja nie wirklich nachgeforscht. Sie haben ihn als Zeugen befragt, das war alles.”
    “Und jetzt glaubst du, dass
er
der Mörder ist?” Kaum hatte Grace es ausgesprochen, merkte sie, dass sie in diesem Satz das falsche Wort betont hatte. Glücklicherweise schien es niemand bemerkt zu haben.
    “Daddy ist doch nicht einfach so abgehauen, Grace. Er hätte mich niemals allein zurückgelassen. Er hätte auch Mom nicht einfach so verlassen und dich und Clay und Molly, die Farm, sein Pfarramt. Nicht nach alldem, was meine echte Mutter uns angetan hatte. Er hasste sie dafür, dass sie sich so davongestohlen hat.”
    Grace biss sich auf die Zunge und schwieg. Madeline musste doch bemerkt haben, dass die Ehe zwischen ihrem Vater und der Frau aus Booneville nicht harmonisch gewesen war. Sie musste doch

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