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Totsein ist Talentsache (German Edition)

Totsein ist Talentsache (German Edition)

Titel: Totsein ist Talentsache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alkestis Sabbas
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Damals. 30 Jahre muss das jetzt her
sein. Da ist er nämlich daran gegangen, Menschen mit Jahrgang 1955 und älter
aus dem Verkehr zu ziehen. Zumindest aus dem Öffentlichen.“
    „Wer ist er ? Wen meinst du? Äh, ich darf doch du sagen, oder?“ Bernd räuspert sich verlegen. Er ist ein wohlerzogener junger
Mann. Aber wie man sich jemandem gegenüber verhält, der ein enger Verwandter
der Angebeteten, beinahe dreimal so alt und vermutlich ein bisschen verrückt
ist, hat er weder in der Schule noch im Tanzkurs gelernt. „Jaja, sicher! Wir
sind ja alle eine große Familie! Gell, meine liebe kleine Anna? Mein Annalein!
Meine Güte, du siehst aus wie Grethe. Ach, Grethe…“ Anna windet sich aus der
Umarmung ihres Großvaters und fragt: „Wer ist jetzt wieder Grethe? Und wer ist er ?
Und überhaupt: Warum musst du dich hier verstecken? Opa? Nicht wieder
wegknicken!“
    Bernd zuckt mit
den Schultern und meint: „Lass ihn, Anna. Ich glaube, das ist grad alles ein
bissl viel für ihn. Er braucht Ruhe. Soll ich uns inzwischen was kochen?“ Anna
trinkt einen Schluck Schnaps und schüttelt den Kopf. Sie starrt Max an. Als
könnte sie in seine Gedanken eindringen, um Antworten auf Fragen finden, die
sie sich nie gestellt hat.
    „Hältst du es für möglich, dass es diesen
geheimnisvollen ER gibt? Einen, der alles lenkt? So eine Art
gottgleichen Landesvater? Irgendwie würde es Sinn machen. Zumindest, wenn man
der Logik deines Großvaters folgt. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob bei
ihm noch alles einwandfrei funktioniert da oben.“ Bernd deutet mit dem Daumen
auf Max, der seit fünf Minuten einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand
fixiert. „Im Alter machen offenbar nicht nur Haut und Knochen schlapp.“ – „Ich
weiß es nicht, Bernd. Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr. Nicht, was
ich denken soll. Nicht, was ich von all dem hier halten soll. Nicht, was ich
überhaupt hier soll. Ich würde am liebsten …“ -„Bingo!“ Max grinst Anna und
Bernd an. Als wäre ihm eine Lösung eingefallen. Die Lösung für ein Problem, das
alle haben, nur nicht er.
    „Bingo! Das haben wir immer gespielt. Zusammen mit
den Schwestern und den Burschen mit den weißen Jacken. Das Personal hat sich
nämlich sehr um uns bemüht. Und auch sonst ist es ziemlich gemütlich gewesen.
Wie alle Altersheime in der Gegend eben. Gibt ja einige. Wir Alten sind ja doch
einige. Viele. Ich hab im Altersheim Zur schattigen Pinie gelebt, bis
deine Mama mich hat holen lassen. Sehr abenteuerlich. Aber anders wäre ich nie
von dort weggekommen. Egal. Also, damit niemals durchsickert, wie es früher
gewesen ist, haben sie uns nicht nur von der Gesellschaft ferngehalten. Um
sicherzustellen, dass alles wie das wirre Gefasel seniler Irrer klingt und wir
keine Fluchtgedanken hegen, haben sie uns auch noch Rauschgift verabreicht.
Alles, was Gott und der Staat jemals verboten haben, hat´s da gegeben. Fast
schade, dass uns nie jemand besucht hat. Sicher ein Spektakel, so ein Haus
voller Senioren auf Droge. Sie haben uns das Zeug immer irgendwo reingemischt –
meistens in den Kaffee.“
    Jo hat mit seiner Theorie also im Grunde recht
gehabt. Wenn er das hört, tickt er aus. Anna überlegt, ob ausreichend Alufolie
zuhause ist und wie im schlimmsten Fall ein Leben ohne elektronische
Kommunikation aussieht.
    „Das ist natürlich alles nur eine Theorie. Eine von
vielen, die ich mir mit meinen Kumpels in der Schattigen Pinie zusammengereimt habe. Aber es ist die plausibelste, wenn man es im größeren
Zusammenhang betrachtet. Meine kleine Sophie hat mich gesucht und zum Glück
auch irgendwann gefunden. Und dieser Johann Schmid – er ist ein Freund deiner
Mama, gell? – der hat dann seine Beziehungen und angeblich noch einiges mehr
spielen lassen, um so Typen zu engagieren. Solche, die keine Fragen stellen.
Aber zuverlässig und pünktlich liefern. Entführung fällt nun mal unter
Gefahrentransport.“
    Anna sieht ihren Großvater mit geröteten Augen an.
Sie fühlen sich an, als würden sich die Kontaktlinsen in ihre Augäpfel fressen.
Alles um Anna wirkt, als wäre es in einen Schleier aus Nebel und Schatten
gehüllt. Das kann aber auch am Schnaps liegen.
    „Seither versteckt sie mich in diesem Haus“, fährt
Max fort. „Weil ich für die Außenwelt nicht existieren darf. Aber sie besucht
mich so oft wie möglich und bringt Lebensmittel mit. Klopapier. Schokolade.
DVDs. Manchmal auch diese Zeitschriften. Was man halt so braucht.“
    Anna

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