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Totsein ist Talentsache (German Edition)

Totsein ist Talentsache (German Edition)

Titel: Totsein ist Talentsache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alkestis Sabbas
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weiß, Österreich braucht gerade jetzt jeden Mann, aber ein paar Wochen
werden sie wohl auf Dich verzichten können. Auch der fleißigste Ingenieur
braucht schließlich Urlaub!
    Wie gerne möchte ich auch eure süße kleine Sophie sehen! Sie lacht
so wonniglich auf der Photographie, die Du deinem letzten Brief beigelegt hast.
Und ich hoffe, Margarethe ist bald wieder wohlauf. Sie leidet sicher
entsetzlich unter den Folgen ihrer schweren Erkrankung. An all dem ist nur
diese gottlose Methode schuld, das schwör ich Dir! Dabei war Lainz einmal ein
so gutes Hospital. Ich bete jeden Tag, auf daß der gute Herr im Himmel Deine
liebe Gemahlin wieder gesund werden läßt. Wie soll denn eure Kleine ohne Mutter
aufwachsen? Ich möchte so gerne kommen, um euch zur Seite zu stehen. Wenn es
nur nicht so teuer wäre!
    Ich weiß, mein lieber Bruder, ich weiß … Als stündest Du neben mir,
höre ich Deine mahnende Stimme: „Das Land hat einen schweren Krieg durchlitten
und trotzdem auf dem schnellsten Weg seine frühere Größe nicht nur
zurückerlangt, sondern sogar übertroffen. Das fordert nun einmal Entbehrungen.“
Aber Max, um welchen Preis? Was nützen Macht, Reichtum und Fortschritt, wenn
dafür Familien getrennt werden?
    Du warst zwar noch recht jung, aber Du hättest ´44 mit uns nach
Amerika gehen sollen. Harry hätte Dich irgendwie in einem Flugzeug seiner
Einheit rübergeschmuggelt. Ich werde nie verstehen, warum Mama und Papa Dich
nicht haben ziehen lassen.
    Ich weiß, mein Jammern stößt bei Dir auf taube Ohren. Zu sehr bist
Du mit dem Wiederaufbau des Landes und mit Deiner kleinen Familie beschäftigt.
Umso dankbarer bin ich, daß Du Deine liebe Schwester in Übersee nicht gänzlich
vergessen hast. Denk nur weiterhin recht oft an mich, vielleicht überzeugt Dich
Dein Herz dann irgendwann, das Richtige zu tun.
    Nun muss ich schließen - die Kinder sind von der Schule zurück und
schreien wie kleine Vögelchen nach ihrem Futter. Umarme Deine Grethe und gib
Sophie einen dicken Kuss auf ihre rosigen Backen.
    Von Herzen, Deine Schwester
    Gertrud
    „Wer ist bitte Schakkespearre? Oder dieser Hugo? Oder Karl May? Oder
…? Schatz, du kennst doch jedes Buch, das jemals erschienen ist. Hast du schon
mal was von denen gelesen?“ Anna folgt der Stimme, die aus den Tiefen des
riesigen Schranks tönt. Sie drückt Bernd den Brief in die Hand und betrachtet
begeistert die Bücherstapel, die sich im Inneren des Kastens türmen. Während
Bernd das Schreiben aus Amerika liest, wühlt sich Anna durch die Literatur.
„Der Glöckner von Notre Dame ... Ein Sommernachtstraum … Der Schatz im Silbersee
… Nie gehört. Die Bücher sehen zum Teil uralt aus. Aber warum sollte man ihre
Existenz leugnen und sie verstecken? Es sei denn …“
    Bisher ist Anna aufgrund der Erkenntnisse der letzten Tage irritiert
gewesen. Ein wenig verunsichert. Zum Teil geschockt. Jetzt ist sie sauer. Und
zwar richtig. Es ist eine Sache, mieses Fernsehprogramm zu senden,
Zeitungsberichte auf Kindergarten-Niveau unters Volk zu bringen oder die
internationalen Medien einzuschränken. Aber Literatur zu zensurieren zeugt von
beispielloser Bösartigkeit. Und grenzenloser Dummheit. „Wie soll Kunst jemanden
stören? Wie könnten Erzählungen für irgendjemanden eine Gefahr darstellen? Vor
allem offensichtlich frei erfundene Geschichten? Die nicht einmal ansatzweise
etwas mit Österreich zu tun haben?“
    Zum zweiten Mal an diesem Tag muss sich
Anna jedoch eingestehen, dass sie jahrelang nicht nachgedacht hat. Sie hat wie
selbstverständlich angenommen, dass in österreichischen Buchläden nur nationale
Literatur zu finden ist. Der Gedanken, dass es auch im Ausland gute
Schriftsteller geben könnte, ist ihr nie gekommen. „Es passt perfekt zusammen.
Wir haben wortwörtlich alles. Wohlstand, Kultur, Vergnügen. Also fragen wir gar
nicht, ob es vielleicht noch mehr oder etwas anderes geben könnte. In
Österreich leben bedeutet, in einem riesigen Kaiserschmarren zu wohnen. Wer
fragt da noch nach anderen Mehlspeisen?“ Anna hat sich in ihrem ganzen Leben
noch nie so dumm gefühlt. Dass sie gut 4 Millionen Co-Idioten hat, ist da auch
kein Trost.
    Anna weckt Max und hilft ihm aus seinem improvisierten Ruhelager.
Dann schleift sie die hölzerne Truhe zum Schrank und legt liebevoll Buch um
Buch hinein. Bernd verkneift sich den Hinweis, dass die Kiste in seinem Alfa
keinen Platz haben wird.
    „Die habe ich noch aus meiner Kindheit. Das
sind echte Klassiker“,

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