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Totsein ist Talentsache (German Edition)

Totsein ist Talentsache (German Edition)

Titel: Totsein ist Talentsache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alkestis Sabbas
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um festzustellen, dass man noch immer träumt.
Nur nicht mehr so wunderbar. Weil man erkennt, dass alles nur Lüge und Illusion
ist. Das schöne Gefühl wird schal. Aber man kann nicht weg. Wacht nicht auf.
Hilf mir verstehen, Opa. Weck mich auf.“
    Max setzt zu
einer Erklärung an, scheint es sich jedoch anders zu überlegen. Erstaunlich
agil springt er auf und verlässt wortlos den Raum. Anna nimmt es gleichmütig
zur Kenntnis. Wenn man einen passiv-aggressiven, so gut wie toten Vater hat und
eine Mutter mit ausgesuchter Vorliebe für Vergorenes und Destillate aller Art,
kann einen das Verhalten des drogengeschädigten Großvaters nicht mehr wirklich
überraschen. Außerdem macht Schnaps, großzügig dosiert und vorbehaltlos
konsumiert, unheimlich gelassen. Ein bisschen Tradition hin und wieder kann ja
nicht schaden.
    „Ich will deinem Opa echt nicht den Auftritt
verderben. Aber ich glaube ernsthaft, dass die Kacke voll am Dampfen ist.
Bringen wir es doch mal auf den Punkt: Jemand will etwas vertuschen – und das
offensichtlich schon sehr lange. Zeitzeugen und internationale
Berichterstattung sind in logischer Konsequenz kontraproduktiv. Wie die
verschollenen Touristen reinpassen könnten, weiß ich allerdings nicht. Wenn man
sie hier nicht haben will, dann wäre es doch einfacher, sie gar nicht erst ins
Land zu lassen. Außer, man braucht sie für irgendetwas, für das sich unsere
Landsleute nicht eignen. Aber was?“ Anna zuckt mit den Schultern. Sie versucht,
ihre Gedanken zu ordnen. In den vergangenen Tagen hat sie erfahren, dass ihr
Vater sterbenskrank ist, dass sie einen streng geheimen Großvater hat und dass
in ihrer Heimat scheinbar eine Verschwörung im Gange ist, die selbst Jo in
seinen wirrsten Fantasien nicht hätte erschaffen können. Schwere Kost, die man
erst mal verdauen muss.
    „Ich zeig euch
was.“ Max steht im Türrahmen und deutet Anna und Bernd, mit ihm zu kommen. Er
führt sie in sein Schlafzimmer, wo er eine schmale Leiter hochsteigt, die in
einer Luke in der Decke endet. Während Bernd Max nachklettert, betrachtet Anna
die zahlreichen Fotos, die an den Wänden des Schlafzimmers hängen. Die Bilder
zeigen Annas Eltern in den unterschiedlichsten Lebensphasen. Sie zeigen einen
sehr jungen Max mit einer hübschen Frau im Arm. Sie zeigen Sophie an ihrem
ersten Schultag und bei der Maturafeier. Und sie zeigen Anna. Sehr oft sogar.
Zaghaft berührt Anna ein Foto, auf dem ihre Eltern und ein sichtlich stolzer
Max ein Baby im rosa Kleidchen betrachten: „Das ist also Familie.“
    Schweigend steigt Anna die Leiter hoch und geht zu
Max und Bernd, der mit gekrümmtem Rücken auf dem niedrigen Dachboden steht.
Anna braucht nur ein wenig den Kopf einzuziehen, kämpft jedoch mit dem Staub,
den die drei aus seinem Dornröschenschlaf geweckt haben. Niesend blickt sie
sich um. Kisten, Koffer und zwei windschiefe Schränke. Das übliche Inventar
eines Dachbodens.
    Mit einer vagen Handbewegung deutet Max ins trübe
Dunkel des Speichers und erklärt: „Hier sind Briefe und Bilder drin, daneben
liegen Zeitungsausschnitte. Seht euch um. Wenn ihr Fragen habt, tut euch keinen
Zwang an. Aber bitte erst in einer Stunde.“ Daraufhin macht er es sich in eine
große Holztruhe gemütlich, murmelt ein wenig vor sich hin und schläft
schließlich laut schnarchend ein.
    Bernd sieht sich um. Hier und daneben sind angemessene Hinweise, wenn man sich in einem sterilen Raum befindet, der
außer zwei mittig platzierten und farblich markanten Behältnissen nichts
enthält. Mit einem resignierenden Schulterzucken dreht sich Bernd im Kreis und
geht schließlich auf einen alten Schrank zu, der weit hinten in einem Dacherker
steht.
    „Na, wenn das so ist“, meint Anna und hockt
sich vor einem kleinen rosa Wäschekorb voller Kuverts und toter Fliegen auf den
Boden.
    New York, 17. September 1961
    Max, mein lieber Bruder!
    Ich danke Dir innig für Deinen Brief und die wunderbaren Geschenke!
Die Küchenmaschine ist ein wahres Wunderding. Ich hätte mir nie träumen lassen,
daß es so etwas gibt! Harry – ich soll Dich herzlich von ihm grüßen - nutzt
jede Gelegenheit, um mit dem neuen Photoapparat alle möglichen Motive
festzuhalten. Mike, Kate und der kleine Steven sind ganz aus dem Häuschen wegen
der Schokolade und all den anderen Leckereien, die Du für sie eingepackt hast.
    Es ist so schade, daß Du unsere Kinder noch immer nicht gesehen
hast. Denkst Du nicht, dass es irgendwann möglich sein wird, uns zu besuchen?
Ich

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