Totsein ist Talentsache (German Edition)
Ansicht. Jo ist in Gedanken noch bei Katja als
Vize-Schurkin in goldenem Bikini. Dementsprechend verwirrt ist er, als sie
seine Fantasien unterbricht: „Träum nicht, Jo. Wir müssen die Welt retten.“
Und dann küsst
sie ihn. Sanfter, als man ihr zugetraut hätte. Und länger, als es Jos
Bewusstsein erlaubt. Für einen erwachsenen Mann wird Jo unverhältnismäßig oft
ohnmächtig.
Es dauert eine Weile, bis Anna abhebt. Sie klingt
erholt und losgelöst von allem Irdischen. Als wäre sie an der Realität
gescheitert und hätte sich in eine Traumwelt aus längst vergessenen Wahrheiten
und Birnenschnaps zurückgezogen. Kein Wunder nach drei Tagen Einöde.
Jo beschränkt sich also auf das Wichtigste und macht
ihr in kurzen Worten deutlich, dass sie und Bernd auf der Stelle nach Wien
zurückkommen müssen. Weil das Waldviertel kein angemessener Aufenthaltsort für
Nachkommen der Staatselite ist. Was sollen denn die Nachbarn denken? Mit einem
Grinsen berichtet er, dass es einige Neuigkeiten gibt – geheime und ganz
aktuell auch private. Außerdem wäre es da einiges abzuklären. Und neu zu
bewerten.
„Anna, hör mir zu! Packt zusammen und fahrt los. Wir
treffen uns in drei Stunden in Lainz.“ – „Ja, da wo ich damals wegen der
Scheißerei gelegen bin.“ – „Frag nicht so lange, tu es einfach!“ – „Nein, das
wird nichts bringen. Denen kann man nicht trauen. Auch nicht der Polizei.
Niemandem. Hörst du? Vertraut niemandem!“ – „Weil es ein bisschen komplizierter
ist, als wir anfangs gedacht haben.“ – „Ja, noch komplizierter.“
Gerade legt Jo mit lautstarker Unterstützung von
Katja dar, dass ein völlig neuer Zugang zur Angelegenheit erforderlich ist, als
ein ohrenbetäubender Knall ertönt. Stimmen brüllen einander Kommandos zu.
Binnen Sekunden füllt sich die kleine Wohnung mit beißendem Rauch. Jo robbt zur
Zimmertür und wirft einen blinzelnden Blick in den Flur. In den Schwaden sind
hünenhafte Gestalten in grauen Kampfanzügen zu erkennen. Sie tragen Gasmasken
und räumen mit ihren Brecheisen alles aus dem Weg, was nicht bei drei in der
Tapete verschwunden ist. Panisch kriechen Katja und Jo unter den Schreibtisch
und schreien abwechselnd ins Telefon:
„AFFEn! Anna,
Bernd – die AFFEn sind da!“ – „Ihr müsst uns helfen!“ - „Anna?“
Die Verbindung
ist tot. Hustend tastet Jo nach Katjas Hand und drückt sie. „Ich glaub, ich mag
dich, Jo …“, hört er noch, als ein scharfer Schmerz seinen Hinterkopf
durchfährt. Der Rest ist schwarze Stille.
7. Juli 2012
Der Saal füllt sich schnell. Und nahezu lautlos. Wenn
überhaupt, begrüßt man einander nur mit einem knappen Kopfnicken und geht
schweigend weiter. Es wirkt wie ein perfekt einstudiertes Ballett: Paarweise
betreten die Ankommenden den Raum, durchschreiten ihn gemeinsam und suchen den
ihnen zugewiesenen Platz auf. Nur dass das Ensemble hier keine rosa Tutus trägt
und sich aus honorigen Damen und Herren zusammensetzt – jeder Außerordentliche
hat seinen Assistenten mitgebracht. Nun ja, eigentlich ist es umgekehrt. Aber
das ist im Moment nicht relevant.
Wie für ein Foto
arrangieren sich die Gäste: Je ein Teil des Duos sitzt, der andere steht
dahinter. Und alle blicken ernst und warten, dass das Vögelchen kommt. Nicht
ganz so kunstvoll angeordnet, aber um nichts weniger steif flankieren Beamte
der AFFE die Türen und blicken finster. Hier und da huschen Gestalten in weißen
Laborkitteln durch die Sitzreihen und tippen hektisch auf dem Bildschirm eines
kleinen Computers herum. Schweißtropfen rinnen ihnen über die Stirn. Da muss
was im Busch sein. Bei gefühlten zwei Grad Celsius Raumtemperatur schwitzt
normalerweise niemand. Ein anständiger Mensch tut so etwas einfach nicht.
Johann Schmid lehnt hinter Friedrich Gross an der
kalten Mauer und sieht sich um. Soweit er beurteilen kann, finden sich keine
unbekannten Gesichter unter den Anwesenden. Das wäre auch höchst verwunderlich.
Die Sekundanten, wie sie sich untereinander nennen, werden nur in
Ausnahmefällen während einer Amtsperiode ausgetauscht. Und die endet erst mit dem
Ableben des jeweiligen Amtsinhabers. In den vergangenen fünf Jahren ist niemand
ausgefallen und auch in naher Zukunft sind definitiv keine Todesfälle zu
erwarten. Wenn man einen kranken Sinn für Humor besitzt, kann man durchaus
behaupten, dass alle Mächtigen des Landes auf Lebenszeit eingesetzt werden.
Nur, dass Leben in diesem Fall abstrakt und Zeit ohnehin relativ zu sehen
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