Touchdown
Süden von Österreich zu erobern.
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Gegen die Giants spielen.
Wenn es ein Spiel auf seiner traurigen kleinen NFL-Tournee gab, an das sich Rick Dockery gern erinnerte, dann war es das gegen die Giants, an einem nebligen Sonntagabend in den Meadowlands, landesweit im Fernsehen übertragen und in Gegenwart von achtzigtausend johlenden Fans. Er spielte gerade für Seattle, in seiner üblichen Rolle als dritter Quarterback. Die Nummer eins wurde in der ersten Hälfte außer Gefecht gesetzt, und die Nummer zwei warf lauter Interceptions, wenn sie nicht gerade den Ball fallen ließ. Bei zwanzig Punkten Rückstand im dritten Viertel warfen die Seahawks das Handtuch und schickten Dockery aufs Feld. Er brachte sieben vollständige Pässe, alle zum eigenen Mann, bei einem Raumgewinn von fünfundneunzig Yards. Zwei Wochen später stand er auf der Transferliste. Noch immer konnte er den ohrenbetäubenden Lärm im Giants Stadium hören. Das Stadion in Bozen war viel kleiner und deutlich ruhiger, aber auch viel schöner. Mit einer eindrucksvollen Alpenkulisse im Hintergrund nahmen die Teams vor zweitausend Fans Aufstellung zum Kickoff. Es gab Fahnen, ein Maskottchen, Gesänge und Leuchtraketen.
Beim zweiten Spielzug von der Anspiellinie begann der Albtraum. Ein Albtraum mit Namen Quincy Shoal, ein dicker Tailback, der einstmals für Indiana State gespielt hatte. Nach den üblichen Stippvisiten in Kanada und beim Arena-Football war Quincy vor zehn Jahren nach Italien gekommen und heimisch geworden. Er hatte eine italienische Frau und italienische Kinder, und er hielt fast alle italienischen Rekorde im Laufspiel mit dem Football.
Quincy kurvte über achtundsiebzig Yards zum Touchdown. Falls ihn dabei jemand berührte, war es auf den Filmaufnahmen vom Spiel nicht erkennbar. Die Zuschauer gerieten aus dem Häuschen, weitere Leuchtraketen zischten, und es gab sogar eine Rauchbombe. Rick versuchte, sich Rauchbomben in den Meadowlands vorzustellen. Weil Bergamo der nächste Gegner war und weil Sam wusste, dass sie Beobachter zum Spiel schicken würden, hatten er und Rick beschlossen, den Ball über den Boden zu tragen und Fabrizio im Hintergrund zu lassen. Das war eine riskante Strategie, eine Zockerei, wie Sam sie liebte. Beide vertrauten darauf, dass die Offense jederzeit nach Belieben passen konnte, doch zogen sie es vor, sich noch etwas für Bergamo aufzusparen.
Da Franco meistens den ersten Handoff des Spiels fallen ließ, sagte Rick ein Pitchout zu Giancarlo, einem jungen Tailback, an, der die Saison als Ersatzmann begonnen hatte, jedoch von Woche zu Woche stärker wurde. Giancarlo hatte einen einzigartigen Laufstil. Er war eher klein, wog knapp achtzig Kilo, hatte kaum Muskeln und scheute jeden körperlichen Zusammenstoß. Als Jugendlicher war er viel geschwommen und getaucht, und er war schnell und leicht zu Fuß. Sobald ein Tackle drohte, sprang Giancarlo hoch, warf sich nach vorn und gewann mit jedem Sprung zusätzlichen Boden. Seine Läufe wurden richtig spektakulär, vor allem die Sweeps und Pitchouts, bei denen er schon Geschwindigkeit aufnehmen konnte, bevor es galt, die Tackler zu überspringen.
Sam hatte ihm den Rat gegeben, den jeder junge Ballläufer bereits in der siebten Klasse bekommt: Bleib mit den Füßen am Boden! Senk den Kopf, schütz den Ball und schütz vor allen Dingen deine Knie, aber lass die Füße auf der Erde! Tausende von College-Karrieren waren schon nach großspurigen Sprüngen über irgendwelche Berge von Leibern abrupt zu Ende gegangen. Hunderte von Profi-Runningbacks hatten bleibende Verletzungen davongetragen.
Giancarlo hatte für derlei Weisheiten keine Verwendung. Er liebte es, durch die Luft zu segeln, und hatte keine Angst vor der harten Landung. Er lief acht Yards nach rechts, flog dann noch drei Yards weiter. Anschließend zwölf nach links, vier davon mithilfe eines Auerbach-Kopfsprungs. Rick erlief fünfzehn Yards per Bootleg und sagte dann einen Dive für Franco an.
»Lass ihn nicht fallen!«, knurrte er und griff nach Francos Gesichtsmaske, als sie das Huddle auflösten. Mit wildem, ja fast irrem Blick griff Franco zurück und sagte etwas Unflätiges auf Italienisch. Wo gab es das denn, dass jemand dem Quarterback in die Gesichtsmaske griff?
Er ließ den Ball nicht fallen, sondern wühlte sich zehn Yards nach vorn, bis die halbe Defense der Giants ihn an der eigenen Vierzig unter sich begraben hatte. Sechs Spielzüge später segelte Giancarlo in die Endzone, und es stand
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