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Touched

Touched

Titel: Touched Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corrine Jackson
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waren und jetzt ganz ähnliche auf meinem Kinn prangten, aber er sagte nur: »Herzliches Beileid.«
    Er nickte Ben zu, machte kehrt und ging.
    Ben griff nach meinem Ellbogen, aber ich stand auf und rief: »Warten Sie!«
    Der Arzt zögerte und sah zurück. »Ja?«
    Ich machte einen Schritt auf ihn zu und meine Stimme wurde kräftiger. »Mein Stiefvater. Dean Whitfield. Hat die Polizei ihn verhaftet?«
    Er schüttelte den Kopf. »Als Ihre Mutter ins Krankenhaus gebracht wurde, war sie allein.«
    »Aber er ist doch daran schuld! Er hat sie umgebracht. Dean hat sie umgebracht!« Sein Name schmeckte in meinem Mund wie Gift. »Er hat sie so viele Male übel zugerichtet, und wir sind hergekommen, um uns helfen zu lassen. Sie hätten ihn daran hindern müssen. Warum haben Sie das nicht getan?«
    Meine Stimme klang rau von all den Tränen, die ich nicht weinen konnte. Der Arzt sagte nichts, und ich wusste, er hatte keine Antwort. Es war nicht seine Schuld. Er war Anna noch nie zuvor begegnet. Ich hätte meine Mutter beschützen sollen, aber ich hatte sie im Stich gelassen.
    »Es tut mir leid«, sagte der Arzt erneut. Er wandte sich zum Gehen, und diesmal hielt ich ihn nicht mehr auf.
    Ben wollte mich in den Arm nehmen, aber ich schob ihnweg. Ich wäre zerbrochen, hätte er mich getröstet. »Ich kann nicht, Ben. Ich werde nicht weinen!«
    Meine Worte verstörten ihn, aber er ließ mich in Ruhe. »Sag mir, was du brauchst, Remy«, bat er.
    Es war ein Echo von etwas, das er gesagt hatte, als ich nach Blackwell Falls gezogen war.
    »Hilf mir, die Beerdigung vorzubereiten.«

   10

    Zwei Tage darauf fand auf einem kleinen Friedhof in Brooklyn die Beerdigung statt. Eine für den April ungewöhnliche Hitzewelle machte den Rosen auf dem Grab meiner Mutter zu schaffen, sie bräunte die Ränder auf den schlappen Blütenblättern. Der Pfarrer sprach ein letztes Gebet, und die Feier war vorbei. Zwei Männer in Overalls warteten höflich, dass die Trauernden – Ben und ich – gingen, damit sie das Grab mit der Erde, die unter einem Streifen Kunstrasen verborgen war, auffüllen konnten.
    Dean war nicht gekommen, und ich hatte keine Ahnung, ob ihn jemand über den Tod meiner Mutter unterrichtet hatte. Und so war es an Ben, dem Pfarrer die Hand zu schütteln. Dann führte er mich zu unserem Mietwagen, mit dem wir zu meiner alten Wohnung fahren wollten. Wir hatten vor, das letzte Flugzeug nach Portland zu nehmen, und ich spürte, dass er unbedingt nach Hause wollte. In den letzten Tagen war er angespannt gewesen. Er wartete wohl darauf, dass ich zusammenbrach, und ich glaubte, er hoffte sogar darauf.
    Er setzte sich hinters Steuer, ließ den Motor aber nicht sofort an. Schließlich sagte er: »Weinen ist okay, Remy. Sie war deine Mutter.«
    Als wäre mir das nicht klar. Als würde ich den Kummer nicht empfinden, der mich erdrückte. »Mir geht’s gut.«
    Er schien darüber sprechen zu wollen, aber ich drängte: »Bitte, lass uns fahren. Es gibt noch so viel zu erledigen, bevor wir fliegen.« Mit einem resignierten Seufzer ließ er den Motor an. Dean hatte sich offensichtlich aus der Stadt verdrückt, und da die Miete nicht bezahlt war, hatte Ben mit dem Hausverwalter abgesprochen, alles zur Einlagerung zusammenzupacken.
    Um in unsere Wohnung im vierten Stock zu gelangen, benutzten wir meinen Schlüssel, den ich behalten hatte. Ben bat mich, draußen zu warten, bis er sich vergewissert hatte, dass die Wohnung leer war. Ich überging das warme Gefühl in meinem Herzen, das sein Beschützerinstinkt verursachte, während er die Zimmer inspirierte. Schließlich kam er nach draußen und verzog das Gesicht, als von den dünnen Wänden Sirenenklänge widerhallten. In unserer Nachbarschaft war Gewalt nichts Ungewöhnliches, und nicht immer war Dean die gefährlichste Person in unserem Umfeld gewesen – nur innerhalb dieser vier Wände.
    Ich stand allein im Wohnzimmer und drehte mich einmal im Kreis, um ein letztes Mal alles in mich aufzunehmen. Mit den schäbigen Möbeln und der schalen Luft wirkte die Wohnung schlimmer, als ich sie in Erinnerung hatte. Der billige Couchtisch wies lauter Wasserflecken auf und schwarze Schrammen da, wo Dean seine bestiefelten Füße hingelegt hatte. Die einst weißen Wände hatten durch das Nikotin einen fahlen Gelbton angenommen. Ein Flachbildfernseher, Deans liebster Besitz, erstanden von meinen Unterhaltszahlungen, stand in einem billigen TV-Möbel. Nichts von Anna und mir lebte in diesem Raum. Es war

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