Townsend, S: Tagebücher des Adrian Mole: Die schweren Jahre
auch einige Bedauernswerte, die durch doppelte Inkontinenz ans Haus gefesselt waren.«
Während ich ihr zuhörte, hatte ich eine Vision von mir selbst, gefangen im Schweinestall, von Zimmer zu Zimmer wandernd in riesigen Inkontinenzwindeln unter voluminösen Trainingshosen. Meine Frau und mein Kind waren geflohen. Mein einziger Besuch war die Inkontinenzpflegerin, die mir frische Vorräte brachte.
Im Anschluss brachte mich eine Krankenschwester auf die Radiologiestation, um mich mit den Gerätschaften vertraut zu machen, dann reichte sie mich an die MTRA weiter, die eher wie eine Bauersfrau aussah als wie eine medizinisch-technische Radiologieassistentin. Sie streckte mir ihre Hand entgegen und stellte sich als Sally vor. Für jemanden, der den ganzen Tag mit halbtoten Menschen zu tun hat, wirkte sie erstaunlich fröhlich. Sie erzählte mir, dass ich tätowiert werden müsse, um die Stelle, an der bestrahlt würde, genau zu bestimmen.
Ich fragte sie, ob ich etwas ganz Unaufdringliches haben könnte – einen kleinen Vogel vielleicht oder gar »Daisy«, den Namen meiner Frau.
Sally sagte: »Das hier ist kein Tattoo-Studio, Mr. Mole. Ihre Tätowierung wird aus einer Reihe winziger Punkte bestehen, die mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen sind.« Dann bat sie mich unheimlich nett, mich untenherum freizumachen und einen OP-Kittel anzuziehen. Danach musste ich auf eine hohe, harte Liege steigen und mich auf den Rücken legen.
Mir hatte vor dem Augenblick gegraut, in dem der Kittel hochgehoben und meine Nacktheit enthüllt würde, aber während Sally ihren Apparat über meinen Genitalien in Position brachte, plauderte sie munter von ihrem Wochenende. Das hatte sie mit ihrem Freund Anthony beim Segeln auf einer kleinen Jolle auf dem Rutland-Water-Stausee verbracht. Sie fragte mich, ob ich mich für Wassersport interessiere. Ich sagte ihr, ich hätte eine krank hafte Angst vor Wasser und bräuchte schon all meinen Mut, um mich auch nur im flachen Teil eines Schwimmbeckens aufzuhalten. Das Piksen der Tätowiernadel spürte ich kaum. Dann ging Sally aus dem Raum und forderte mich über einen Lautsprecher auf, »ganz stillzuhalten«. Ich tat, wie mir geheißen, vor lauter Angst, die Strahlen würden meine Prostata verfehlen und meinen Penis treffen. Nach ein paar Minuten verkündete Sally, ich dürfe mich wieder entspannen, und kam zurück in den Behandlungsraum. Als sie mir von der Liege herunterhalf, sagte sie: »Dann sehen wir uns morgen wieder um dieselbe Zeit.«
Während ich mich anzog, dachte ich mir erleichtert, dass Sally und ich gut miteinander auskommen würden. Immerhin werde ich sie ja die nächsten acht Wochen lang fast jeden Tag sehen.
Freitag, 26. Oktober
Bestrahlung.
Samstag, 27. Oktober
Bestrahlung.
Sonntag, 28. Oktober
Bestrahlung.
Montag, 29. Oktober
Bestrahlung.
Dienstag, 30. Oktober
Bestrahlung.
Mittwoch, 31. Oktober
Halloween
Mr. Carlton-Hayes ist wegen schwerer Rückenschmerzen im Krankenhaus. Hitesh führt den Laden.
Nach der Bestrahlung ging ich auf dem Weg zur Arbeit noch widerstrebend auf einen Sprung bei Woolworth vorbei, um Gracie ein Hexenkostüm für ihre Halloween-Tour durch die Nachbarschaft heute Abend zu kaufen. Dabei ist es draußen so kalt, dass es sowieso ganz unter ihrer dicken Steppjacke versteckt sein wird.
Ich heiße diesen amerikanischen Brauch nicht gut. Er ist ab solut unenglisch. Angesichts meines Gesundheitszustands allerdings bin ich auf ein ruhiges Leben angewiesen. Also füllte ich eine große Tüte mit gemischten Süßigkeiten für 5 £, um die Kinder zu beschenken, die an unserer Tür klingeln, wenn es auch in den vergangenen Jahren nur wenige gewagt haben, den finsteren und wenig einladenden Weg bis zu uns zu laufen.
Aus irgendeinem Grund empfinde ich einen Besuch bei Woolworth immer als tröstlich. Als Kind gab ich mein erstes Taschengeld hier aus. Ich war fünf Jahre alt und legte zwanzig Pence für fliegende Untertassen auf den Tisch. Es tut einfach gut, zu wissen, dass, egal welche Mühsal wir im Leben ertragen müssen, Woolworth immer da sein wird.
Donnerstag, 1. November
Hitesh rief mich gestern Abend an und sagte, er käme allein nicht zurecht. Er versteht nicht, wie Mr. Carlton-Hayes’ System funktioniert. Außerdem fehlt ihm die Kompetenz, den Wert gebrauchter und antiquarischer Bücher zu schätzen.
Nach der Bestrahlung ging ich Mr. Carlton-Hayes auf Station 17 besuchen. Leslie war gerade gegangen. Ich wollte Mr. Carlton-Hayes nicht
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