Toxic: Der Biss - Das Feuer - Die Hölle Thriller (German Edition)
sie aus wie der Kopf einer Libelle. Von vorne wirkte sie eckig und bedrohlich – nicht umsonst nannte man sie auch »Stingray«, Stachelrochen. An Sommertagen fuhr ich oft mit dem Fahrrad die Straße hinunter, nur um einen Blick auf die 67er zu werfen, wenn der Installateur sie aus der Garage holte, um an ihr herumzuschrauben oder Lackpflege zu betreiben. Nichts wünschte ich mir so sehnlich wie, einmal mitfahren zu dürfen, aber ich traute mich nie zu fragen.
Eines Tages jedoch fuhr der Installateur einfach so bei uns vor, klopfte und fragte meine Mutter, ob er mich zu einer Spazierfahrt mitnehmen könne. Ich nehme an, er hatte gehört, dass mein Vater am Abend zuvor getötet worden war, auch wenn er es mit keinem Wort erwähnte. Ehrfürchtig ließ ich mich auf dem Beifahrersitz nieder. Er fuhr raus auf die I-93, nach Süden entlang der Küste durch Dorchester Richtung Quincy. Die Seitenfenster waren heruntergelassen, und wir brausten mit neunzig Meilen die Stunde dahin. Die salzige Luft des Atlantik peitschte mein Gesicht und stach mir in die Augen. Sie blies das bedrückende Bild meiner Mutter hinweg, die sich am Küchentisch die Seele aus dem Leib weinte.
Selbst jetzt noch, fast achtundzwanzig Jahre später, kann mir eine Fahrt in meiner 67er über das hinweghelfen, was ich als Bulle zu sehen bekomme. Als ich die Interstate 8 erreichte, die wichtigste Ost-West-Verbindung von San Diego, ging es mir schon wieder etwas besser.
An einem normalen Samstagabend wäre ich Richtung Norden nach Del Mar gebraust, wo es eine tolle kleine Bar gibt, in der Rock-’n’-Roll-Bands auftreten, was jede Menge interessante und hübsche Frauen anzieht. Aber irgendwie hatte mir dieser trübe Tag jede Lust auf menschliche Gesellschaft verdorben, ich wollte einfach nur noch ein bisschen durch die Gegend brettern. Ich machte einen Abstecher durch Mission Valley und zurück ins Zentrum und fuhr dann auf den lang gezogenen Bogen der Brücke, die das Festland mit Coronado Island verbindet. Über Seitenstraßen gelangte ich auf die Westseite der Insel.
Vor dreißig Jahren war Coronado eine verschlafene, konservative Gegend, in der hauptsächlich Offiziere der U.S. Navy wohnten. Heute ist die Insel ein piekfeiner Vorort von San Diego. Die Preise der Anwesen dort können sich mit allem messen, was in Kalifornien gut und teuer ist. Die Neureichen und Kurzzeit-Berühmtheiten blättern selbst für Bruchbuden locker eine Million hin, um sie dann abzureißen und sich stattdessen Retortenschlösser hinzusetzen.
Sechs Blocks nördlich vom Hotel Del Coronado fand ich die gesuchte Seitenstraße und parkte die Corvette unter Palmen, die sich vor einer weiß getünchten Mauer erhoben. Darüber zeigten sich im Licht der Straßenlaterne die verwitterten Holzschindeln und der Giebel des Hauses. Ein rotes Holztor war von einem Bogen wilder Rosen umrankt. Eine ganze Weile blieb ich sitzen und schaute mir das an, als würde es mein halbes Leben bedeuten.
Ich stieg aus und öffnete das Tor. Den größten Teil des Gartens nahm der Pool ein, den Fay im Jahr zuvor hatte anlegen lassen. Dahinter erhob sich ein kleines Treibhaus. Es schien noch mehr Orchideen zu geben, bestimmt waren es schon dreihundert verschiedene, etliche blühten in Töpfen rund um den Pool. Durch die gläserne Schwebetür konnte ich Jimmy sehen, immer noch in seiner Baseballhose. Er saß auf dem Fußboden vor dem Fernseher und schaute sich Zeichentrickfilme an. Fay war in der Küche und spülte Geschirr. Sie trug einen Overall und sah darin noch umwerfender aus als sonst.
Leise klopfte ich auf der Höhe von Jimmy an die Glasscheibe. Seine Mutter entdeckte mich gleich und zog ein finsteres Gesicht. Jimmy blickte auf, zögerte einen Augenblick, strahlte dann übers ganze Gesicht und lief zur Tür. »Hallo, Dad«, begrüßte er mich.
»Hallo, Jimbo«, sagte ich und umarmte ihn. »Wie ist das Spiel gelaufen?«
»Im vierten Inning wegen Regen abgebrochen», antwortete er. »Hast du für morgen schon die Angelruten gerichtet? Wie ist dein neuer Fall?«
Ich seufzte. »Scheußlich ist er, mein neuer Fall, Sportsfreund. Und Angeln fällt morgen leider ins Wasser.«
»Wie bitte?«, fragte er spürbar enttäuscht.
»Wir sind knapp mit Leuten im Moment, und das ist wirklich eine der übelsten Geschichten, die ich je gesehen habe.«
Jimmy nickte zwar, doch er wandte die Augen von mir ab, und sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, den ich bisher nur bei Fay gesehen hatte: Verstört und voller
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