Toxin
Blut, Eingeweide und Knochen nach unten befördert wurden. »Hier unten wird das ekelige Zeug offenbar gelagert, bis es zur Abdeckerei transportiert wird«, berichtete Kim ins Mikro. »Der Gestank läßt darauf schließen, daß sich der Abfall in unterschiedlichen Verwesungsstadien befindet. Eine Klimaanlage gibt es nicht. Man kann sich zwar kaum einen widerwärtigeren Gestank vorstellen, aber im Sommer muß es noch unerträglicher sein.«
»Klingt ekelhaft«, stimmte Tracy ihm zu. »Es ist schwer zu glauben, daß dieser Abfall noch verwertet wird.«
»In der Abdeckerei wird daraus Dünger gemacht«, entgegnete Kim. »Und Rinderfutter - so ekelerregend das auch klingen mag. Die Industrie hat unsere ahnungslosen Rinder zu Kannibalen gemacht.«
»Oje!« stöhnte Kim. Ein kalter Schauer jagte ihm über den Rücken.
»Was ist passiert?« fragte Tracy ängstlich.
»Ich habe gerade etwas gehört«, erwiderte Kim.
»Dann mach’, daß du rauskommst!« rief Tracy. Kim richtete den Strahl der Taschenlampe in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Verblüfft beobachtete er, wie sich beinahe die gleiche Szene wie am Abend zuvor in seinem eigenen Keller wiederholte: Unzählige, rubinrote Augen funkelten ihn an. Eine Sekunde später verschwanden die Augen, und er sah gerade noch, wie ein paar Tiere davonhuschten, die so groß waren wie Hauskatzen. Anders als am Abend zuvor waren es diesmal keine Mäuse.
»Keine Panik, es ist alles okay«, flüsterte er leicht geschockt in sein Mikro. »Das waren nur ein paar Monsterratten.«
»Ach, wenn’s sonst nichts ist!« entgegnete Tracy sarkastisch. »Ein paar freundliche Monsterratten sind ja nicht weiter schlimm.«
Kim machte einen Schritt und stellte fest, daß der Fußboden nicht nur wie Rohöl aussah, sondern beinahe auch die gleiche Konsistenz hatte. Jedesmal wenn er einen Fuß hob, verursachten seine Stiefel ein lautes Schmatzen.
»Eine schlimmere Horrorvision der Post-Industrialisierung kann man sich kaum vorstellen«, stellte er fest.
»Hör auf herumzuphilosophieren!« fuhr Tracy ihn an. »Sieh zu, daß du aus dem Keller verschwindest! Bitte, Kim, was willst du eigentlich da unten?«
»Ich will die Rutsche finden, über die die Köpfe nach unten befördert werden«, erwiderte Kim.
Er arbeitete sich zwischen den Bottichen und Containern voran und versuchte abzuschätzen, wo sich im Stockwerk über ihm der Kopfknochenauslöseraum befand. Vor einer Betonmauer hielt er inne; vermutlich war oben ebenfalls eine Wand an dieser Stelle. Das bedeutete, daß die Rutsche, nach der er suchte, auf der anderen Seite der Mauer sein mußte.
Er leuchtete die Mauer ab und entdeckte eine Öffnung, auf die er zusteuerte. Er duckte sich und ging hindurch. Dann versuchte er sich mit Hilfe der Taschenlampe in diesem zweiten Kellerraum zu orientieren. Er war kleiner und sauberer als der erste. Außerdem entdeckte er hier, was er vermutet hatte: Gleich zu seiner Rechten befand sich eine Rutsche, die in einem besonders großen Container endete.
»Sieht vielversprechend aus«, stellte er fest. »Ich glaube, ich habe gefunden, wonach ich gesucht habe. Dieser Container ist so groß wie eine Schuttkippe.« Er folgte der Rutsche mit dem Strahl seiner Taschenlampe bis zu der Stelle, an der sie die Decke durchdrang. Nach seiner Schätzung stimmte der Durchmesser der Rutsche in etwa mit der Öffnung ein Stockwerk höher überein.
»Na wunderbar!« verkündete Tracy. »Jetzt komm endlich da raus!«
»Einen Augenblick noch«, entgegnete Kim. »Mal sehen, ob ich einen Blick in den Container werfen kann.« Er ging näher an den verrosteten, schmierigen Container heran. An der Seite des Containers, etwa dort, wo die Rutsche endete, befand sich eine kleine Metallplattform, die über vier Stufen zu erreichen war. Er stieg hinauf und sah jetzt auf die Oberfläche des riesigen Behälters. Direkt vor ihm befand sich eine Klappe, die mit einem Metallriegel verschlossen war. Er schob den Riegel zur Seite, bekam die Klappe jedoch nicht auf; zumindest nicht mit einer Hand.
Er klemmte sich die Taschenlampe zwischen die Knie, umfaßte mit beiden Händen den Rand der Klappe und zog. Sie öffnete sich unter lautem Quietschen. Während er die Klappe mit der linken Hand hielt, angelte er mit der rechten nach der Taschenlampe und richtete den Strahl in den Container. Der Anblick war nicht gerade schön.
Der Behälter war beinahe randvoll mit verrottenden, gehäuteten Rinderköpfen. Im Gegensatz zu den
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