Toxin
waren aus dem OP gekommen, um Becky zu holen. Dr. Flanagan ging ans Kopfende der Bahre und löste den Stopper. Becky griff nach Kims Hand. Wenn man berücksichtigte, wie viele Medikamente sie schon bekommen hatte, hatte sie noch erstaunlich viel Kraft.
»Tut es weh?« fragte sie ihren Vater. »Wenn Jane sich um dich kümmert, kannst du absolut beruhigt sein«, erwiderte Dr. O’Donnel, der die Frage mitbekommen hatte. »Sie ist das beste Sandmännchen, das du dir wünschen kannst.«
»Wir haben dir sogar einen schönen Traum bestellt«, witzelte die Anästhesiologin.
Kim kannte und schätzte die beiden. Er hatte selbst schon häufig mit Jane Flanagan zusammengearbeitet, und James O’Donnel kannte er aus verschiedenen Krankenhaus-Ausschüssen. Er kam ebenfalls aus dem Samaritan Hospital und hatte den Ruf, der beste Magen-Darm-Chirurg der Stadt zu sein. Kim war sehr erleichtert gewesen, als Dr. O’Donnel sich bereit erklärt hatte, sofort alles stehen- und liegenzulassen, um Becky zu operieren.
Dr. O’Donnel trat ans Fußende der Bahre und übernahm das Lenken. Seine Kollegin ging rückwärts, und so manövrierten sie Becky durch die Schwingtür in den OP-Flur. Kim ging neben dem Bett und hielt Beckys Hand. Dr. Flanagan versetzte der Schwingtür mit dem Hintern einen Stoß. Als sie die Rollbahre durch die Tür schoben, griff Dr. O’Donnel nach Kims Arm und hielt ihn zurück. Die Tür fiel zu, und Becky und die Anästhesiologin waren nicht mehr zu sehen. Kim musterte entgeistert die Hand, die seinen Arm umklammerte, dann sah er seinen Kollegen an. Dr. O’Donnels Nase war übersät mit Sommersprossen. Er war nicht ganz so groß wie Kim, aber kräftiger gebaut.
»Was soll das?« fragte Kim. »Lassen Sie meinen Arm los!«
»Ich habe gehört, was eben in Beckys Zimmer passiert ist«, erklärte Dr. O’Donnel. »Ich halte es für besser, wenn Sie nicht mit in den OP kommen.«
»Ich will aber mitkommen«, beharrte Kim. »Mag sein«, entgegnete Dr. O’Donnel. »Aber Sie bleiben draußen.«
»Kommt gar nicht in Frage«, widersprach Kim. »Becky ist meine Tochter, meine einzige Tochter.«
»Genau das ist der Punkt«, erklärte Dr. O’Donnel. »Entweder Sie warten draußen, oder ich operiere Ihre Tochter nicht. So einfach ist das.«
Kim lief vor Wut rot an. Er fühlte sich in die Ecke gedrängt und wußte nicht, wie er reagieren sollte. Er wollte unbedingt, daß Dr. O’Donnel die Operation durchführte, aber gleichzeitig wollte er sich auf keinen Fall von Becky trennen.
»Entscheiden Sie sich!« forderte Dr. O’Donnel ihn auf. »Je länger Sie überlegen, desto mehr muß Becky leiden.« Kim befreite wütend seinen Arm und wandte den Blick ab. Wortlos stürmte er in Richtung Umkleideraum davon. Auf seinem Weg durch den OP-Aufenthaltsraum würdigte er die Anwesenden keines Blickes. Er war total verzweifelt. Doch sein Erscheinen blieb nicht unbemerkt.
Im Umkleideraum ging er als erstes ans Waschbecken. Er drehte das kalte Wasser auf und klatschte sich etliche Male eine Ladung ins Gesicht, bevor er sich schließlich aufrichtete und sich im Spiegel betrachtete. In diesem Moment sah er hinter seiner Schulter das verhärmte Gesicht von Forrester Biddle auftauchen.
»Ich will mit Ihnen reden«, sagte Biddle in scharfem Ton.
»Reden Sie!« forderte Kim ihn auf, während er sich das Gesicht abtrocknete. Er drehte sich nicht um. »Hatte ich Sie nicht ausdrücklich gebeten, Ihre Meinung nicht in den Medien kundzutun? Ich bin empört, daß diese Kelly Anderson Sie gestern abend schon wieder in den Elf-Uhr-Nachrichten zitiert hat.«
Kim lachte einmal kurz und freudlos auf. »Seltsam. Dabei habe ich mich geweigert, mit ihr zu sprechen.«
»Sie hat behauptet, Sie hätten das Gefühl, AmeriCare habe die Notaufnahme des Samaritan Hospital geschlossen, um Kosten zu sparen, und zwinge die Leute aus purer Gewinnsucht, die überlastete Notaufnahme im University Medical Center aufzusuchen.«
»Das habe nicht ich gesagt, sondern Kelly Anderson«, stelle Kim klar.
»Aber sie hat Sie zitiert«, widersprach Dr. Biddle. »Komisch«, entgegnete Kim beiläufig. Er war so aufgewühlt, daß es ihm eine perverse Freude bereitete, die Wut und Selbstgefälligkeit seines Vorgesetzten noch anzustacheln. Allerdings war er entschlossener denn je, nie wieder mit der Fernsehjournalistin zu reden.
»Ich warne Sie zum letzten Mal«, verkündete Dr. Biddle. »Die Verwaltung und auch ich haben Sie lange genug mit Nachsicht behandelt.«
»Okay«,
Weitere Kostenlose Bücher