Toxin
diesem Bett. Sie muß sofort in den OP!«
»Ich glaube, wir sollten erst auf Dr. Stevens warten«, schlug Dr. Morgan mit ruhiger Stimme vor und bedeutete Stephanie, Kims Anweisung nicht zu folgen. Dann steuerte sie auf Kim zu.
»Zum Teufel mit Dr. Stevens!« ereiferte sich Kim. »Becky ist ein Notfall für die Chirurgie. Das Däumchendrehen hat jetzt ein Ende. Wir müssen etwas tun!«
Dr. Morgan legte Kim die Hand auf den Arm und ignorierte seinen panischen Blick.
»Das liegt nicht in Ihrem Zuständigkeitsbereich, Dr. Reggis. Sie müssen sich beruhigen.« In seiner aufgewühlten Verfassung nahm er Dr. Morgan nur noch als Hindernis wahr und nicht als Kollegin. Entschlossener denn je, Becky so schnell wie möglich in den OP zu bringen, fegte er die Ärztin buchstäblich zur Seite.
Um nicht hinzufallen versuchte Dr. Morgan sich am Nachttisch festzuhalten, und dabei riß sie sämtliche Gegenstände hinunter. Eine Wasserkaraffe, ein Glas, eine Blumenvase und ein Thermometer krachten neben ihr zu Boden. Während Lorraine versuchte, das Bett festzuhalten, rannte Stephanie auf den Flur und schrie um Hilfe. Obwohl die Hinterräder nicht gelöst waren, schaffte Kim es, das Bett einen guten Meter in Richtung Tür zu bugsieren. Tracy stürzte sich auf ihren Ex-Mann. Sie zerrte an seinem Arm und bedrängte ihn, das Bett loszulassen.
»Hör auf, Kim!« schluchzte sie. »Bitte!«
Weitere Schwestern eilten herbei, unter anderem die Oberschwester und ein kräftiger Pfleger. Gemeinschaftlich versuchten sie Kim aufzuhalten, doch der war wild entschlossen, das Bett hinauszuschieben. Sogar Dr. Morgan stand auf und ging ihren Kollegen zur Hand. Schließlich hatten sie ihn überwältigt, und Kim ließ von dem Bett ab. Doch er war alles andere als glücklich. Er brüllte, daß sie alle unfähig seien, wenn sie nicht sähen, daß Becky ein Notfall für den OP war.
»Was machen sie denn mit mir, damit ich einschlafe?« fragte Becky. Ihre Stimme verriet, daß sie bereits kurz vorm Wegnicken war.
»Sie geben ein wenig Medizin in die Infusionskanüle«, erwiderte Kim. »Keine Angst, du spürst nichts. Wenn du wieder aufwachst, geht es dir besser.«
Becky lag auf einer Rollbahre im Anästhesie-Wartebereich des Operationssaals. Ihr Haar war unter einer OP-Haube verschwunden. Da sie starke Medikamente bekommen hatte, hatten ihre Schmerzen nachgelassen, aber sie hatte Angst vor der Operation.
Kim stand neben der Bahre. Um ihn herum warteten weitere auf Rollbahren liegende Patienten darauf, in einen der OPs gebracht zu werden. Kim trug OP-Kleidung, eine Haube auf dem Kopf und Plastiküberzüge über den Schuhen. Die Szene in Beckys Zimmer lag eineinhalb Stunden zurück, und er hatte sich inzwischen wieder gefangen. Er hatte sich bei Dr. Morgan entschuldigt, und sie hatte ihm versichert, daß sie ihn verstehen könne. Dr. Stevens war kurz nach dem Tumult erschienen und hatte umgehend einen Chirurgen hinzugezogen.
»Werde ich wieder gesund, Daddy?« fragte Becky.
»Ja, was meinst du denn?« fragte Kim zurück. Er bemühte sich, so zu klingen, als stünde das außer Zweifel. »Natürlich wirst du wieder gesund. Sie öffnen dir nur den Bauch - ungefähr so, wie man einen Reißverschluß aufzieht - dann flicken sie das kleine Loch, und das war’s.«
»Vielleicht werde ich bestraft, weil ich mich nicht für die Nationalmeisterschaft habe aufstellen lassen«, sagte Becky. »Es tut mir so leid, daß ich es nicht getan habe. Ich weiß genau, wie sehr du dich gefreut hättest.«
Kim spürte, wie ihm Tränen in die Augen traten. Er mußte einen Augenblick wegsehen, um seine Fassung wiederzugewinnen und sich eine passende Antwort zu überlegen. Seiner Tochter in dieser Situation etwas über Schicksal und Bestimmung zu erzählen, war nicht gerade einfach; schließlich suchte er selber verzweifelt nach einer Erklärung. Noch vor ein paar Tagen hatte sie vor jugendlicher Energie nur so gestrotzt, und jetzt schwebte sie am Rande des Abgrunds. Warum? fragte er sich verzweifelt.
»Ich bitte Mom, daß sie mir das Anmeldeformular ins Krankenhaus mitbringt«, fügte Becky hinzu. »Über die Nationalmeisterschaft brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu machen«, entgegnete Kim. »Die ist mir völlig egal. Das einzige, was mich interessiert, bist du.«
»Okay, Becky«, rief eine fröhliche Stimme aus dem Hintergrund. »Es geht los.«
Kim hob den Kopf. Dr. Jane Flanagan, die Anästhesiologin, und Dr. James O’Donnel, der Gastrointestinal-Chirurg,
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