Tränen aus Gold
worauf die beiden gingen und die Tür hinter sich schlossen. Als Ramonda sich jetzt Elise zuwandte, waren ihr Missgunst und Neid anzusehen. Seiner Lordschaft hätte auch sie kniend gedient, nachdem sie aber gesehen hatte, welch eine Schönheit ihn erwartete, wußte sie, daß er zuviel von ihr verlangt hatte. Wenn sie mithalf, dieses Mädchen außer Landes zu schaffen, würde sie ihm wieder eine Frau in die Arme treiben, in denen sie sich selbst sehnlichst geborgen wünschte. Ihre Gefühle waren einfach zu stark, wenn sie das naive junge Ding, als das ihr Elise erschien, nur ansah. Hass. Eifersucht. Neid.
Oh, sie wußte nur zu gut, wie illusorisch ihre Sehnsüchte waren. Die Wahrscheinlichkeit, daß aus ihrer Neigung zu Maxim Seymour eine Beziehung wurde, war äußerst gering. Er hatte eine viel zu kurze Zeit unter ihrem Dach verbracht, um ihre Gefühle überhaupt wahrzunehmen. Ramondas Blick glitt verächtlich über das grobe Gewand des Mädchens. Dieser ärmliche Kittel war nicht das, was eine Lady zu tragen gewohnt war, doch die helle Haut, die königliche Haltung und die sorgsam gepflegten Hände legten um so deutlicher Zeugnis von der Herkunft dieses schönen jungen Mädchens ab. Ramonda empfand es als besonders demütigend, daß sie diesen Vorzügen nichts entgegensetzen konnte. »Ihr mögt ja hochwohlgeboren sein, Kindchen«, höhnte sie, »aber dorthin, wohin Ihr jetzt geht, wird das Leben weniger fein sein.«
»Wohin gehe ich denn?« Elise zog eine feingewölbte Braue neugierig hoch, in der Hoffnung, endlich eine Antwort zu bekommen.
Ramonda, die ihre kleine Rache auskostete, sagte: »Zur Hölle vielleicht.«
Elise reagierte mit einem gleichmütigem Achselzucken. »Dort kann es auch nicht ärger sein als hier.«
Ramonda kniff wütend die Augen zusammen. Rache war nicht halb so süß, wenn sie mit einem bloßen Achselzucken abgetan wurde. Der Neid bohrte in ihr, und sie wollte das Mädchen spüren lassen, wie sie litt, doch sie wollte den Zorn des Lords nicht riskieren, wenn er von ihrem Tun erführe. Sie wäre sogar bereit gewesen, dem Mädchen eine Möglichkeit zur Flucht zu bieten, falls sie die Schuld jemand anderem in die Schuhe schieben könnte.
»Ich soll Euch was Essbares bringen«, erklärte sie nun mit schneidender Stimme. »Wollt Ihr etwas Haferbrei… jetzt oder später?«
Elise lehnte das wenig verlockende Angebot ab. »Ich glaube, ich warte noch.«
»Wie Ihr wollt«, gab die Frau schnippisch von sich. »Ich werde doch einer feinen Dame nicht meinen Haferbrei aufzwingen. Das könnte ihr den Appetit auf die gewohnten Leckerbissen verderben.«
Zu erschöpft, um noch weiter zu streiten, blieb Elise unter dem verächtlichen Blick Ramondas stumm. Schließlich griff diese nach einer Kerze, ging hinaus und verschloss die Tür. Erleichtert ließ Elise sich auf die Bettstatt sinken, heilfroh, daß sie sich wenigstens nicht gegen körperliche Misshandlungen zur Wehr setzen mußte. Nicht, daß sie Ramonda gefürchtet hätte, obschon diese mindestens einen halben Kopf größer und dreißig Pfund schwerer war. Doch ihr war der Rat des Sohnes der Küchenmagd gut in Erinnerung geblieben, der gesagt hatte, wenn man einem Kampf schon nicht ausweichen konnte, dann sollte man wenigstens Zeitpunkt und Ort selbst bestimmen.
Elise schlüpfte aus ihren Sachen und kuschelte sich unter die Decke. Wie müde sie war, kam ihr erst jetzt zu Bewußtsein. Sie fühlte sich völlig ausgelaugt. Die Augen fielen ihr zu, ihre Gedanken irrten ziellos umher, bis schließlich Schlaf sie übermannte und in ein traumloses Nichts trieb.
Plötzlich ertappte Elise sich dabei, wie sie die niedrige Decke anstarrte und auf ein Knarren im Haus lauschte. Das Kerzenflämmchen brannte ruhig, dann fing es zu flackern an, wie bei Zugluft. Elises Blick wanderte zur Tür, der einzigen Stelle, wo Luft eindringen konnte, und sie sah, daß sie geöffnet wurde. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, denn sie dachte an die zahllosen Türen, an denen sie vorübergegangen war und hinter denen das Unbekannte lauerte.
Fast hätte sie erleichtert aufgeatmet, als Ramonda eintrat. Sie versuchte Ruhe zu bewahren, lag reglos da und sah unter gesenkten Lidern hervor. Die Frau trug ein Tablett mit Fleisch und Brot und einem Krug zum Tisch. Gebannt sah Elise zur offenen Tür hin, und wieder beschleunigte sich ihr Herzschlag. Hier bot sich eine Fluchtchance, die es ohne Verzug zu nutzen galt!
Elise zögerte keine Sekunde. Mit einem Satz war sie auf den Beinen,
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