Tränen der Lilie - Die Kristallinsel (Dreamtime-Saga) (German Edition)
bezüglich unserer Legenden haben. Was genau möchten Sie wissen?«
In kurzen Zügen erzählte Michael
ihr alles über den Mord mit der Babyentführung und teilte ihr mit, dass Malee
sie um Hilfe gebeten hatte.
»Wir alle sind Geisterkrieger.
Seit Jahrhunderten kämpfen wir gegen das Böse und das Außersinnliche. Gegen
Werwölfe oder die Unterwelten. Aber außer Jai, der aus Hawaii stammt, hat noch
keiner von uns mit Wassergeistern zu tun gehabt.«
Nahla nickte verstehend.
»Auf dieser Insel gibt es
zahlreiche Mythen und Legenden, die sich um die Geister des Meeres ranken. Für
welchen genau interessieren Sie sich?«
»Um genau zu sein, möchten wir
alles über die Legende der Víla wissen.« Jai kam jetzt direkt zur Sache und
beobachtete sie dabei prüfend. »Wenn wir die Morde aufklären sollen, dann
brauchen wir über sie so viele Informationen wie nur möglich«, fügte er
hinzu.
»Ich hoffe, dass wir Ihnen nicht
allzu neugierig erscheinen«, warf Milton zögernd ein.
Nahla schüttelte den Kopf, dann
zeigte sie mit einer Handbewegung zu einer Sitzgruppe, die sich in einer Nische
befand. Nachdem kurzem Nachdenken begann sie zu erzählen.
»Ja, ich kenne die Legende. Sie
ist schon sehr alt. Alles begann vor ungefähr zwei Jahrzehnten. Damals brachte
ein thailändischer Seefahrer von einer seiner Reisen eine Frau mit, aus dem
Land, das er bereist hatte. Niemand weiß so genau, woher sie stammte. Aber man
sagte, dass sie einen starken, irgendwie russischen Dialekt hatte. Die
Überlieferungen berichten, dass sie eine Nixe war. In dem halben Jahr vor der
Hochzeit lebte sie sehr zurückgezogen in einer kleinen Fischerhütte, am
abgelegenen Haad-Phra-Ae-Strand. Zu den unmöglichsten Tages- und Nachtzeiten sah
man sie in der Nähe des Meeres. Sie soll sogar permanent nach Meersalz und Algen
gerochen haben. Kurz nach ihrer Hochzeit passierte es. Sie war wohl auch wieder
spät in der Nacht noch baden gegangen. Ein einlaufender Fischerkutter hat sie
nicht gesehen. Sie ihn wohl auch nicht. Ihr Kopf wurde von der Schiffsschraube
fast vollständig zerfetzt. Bei der anschließenden Obduktion stellten die Ärzte
fest, dass sie im fünften Monat schwanger war. Ihr Mann ist kurz danach sofort
wieder zur See gefahren. Man hat ihn nie wieder hier auf der Insel gesehen. Er
hatte noch nicht einmal so viel Anstand, die Beerdigung auszurichten. Das haben
entfernte Verwandte von ihm übernommen. Durch seinen lieblosen Abschied und
seine fehlende Liebe hat sie sich in eine Untote verwandelt und seitdem liegt
der Fluch über der Insel. Seitdem sieht man ihren Geist in mehr oder weniger
kurzen Abständen im Meer und auch in den dichten Mangrovenwäldern der Insel
auftauchen. Immer wieder hält sich das hartnäckige Gerücht, dass sie eine Víla
ist. Kurz nach ihrem Tod haben dann die mysteriösen Babyentführungen
angefangen.«
Alle hatten ihr gespannt
zugehört, aber keiner von ihnen konnte einschätzen, ob es sich um eine wahre
Begebenheit handelte. Ihr schamanisches Wissen schien ihnen in diesem Fall nicht
sehr weiterzuhelfen. Jai unterbrach das angespannte Schweigen.
»Wenn wir davon ausgehen, dass es
der Wahrheit entspricht und die Frau tatsächlich einen russischen oder
slawischen Dialekt gesprochen hat, dann ist die Legende durchaus stimmig.«
Alle sahen ihn mit gespannter
Aufmerksamkeit an.
»Wenn der Matrose damals auf
einem der neuen, hochseetauglichen Segelschiffe anheuerte, dann könnte er das
Mädchen tatsächlich von einem der slawischen Länder mitgebracht haben. Zu dieser
Zeit florierte der erste Handel mit Seide und Gewürzen zwischen Thailand und den
anderen Ländern. Die Schiffsrouten verliefen damals von Thailand, über den Golf
von Bengalen, den indischer Ozean, quer über das Arabische Meer, vorbei an
Jemen, dem Oran und endeten nach Monaten im Schwarzen Meer, im Hafen von
Constanta-Rumänien. Das Land liegt im Herzen aller umliegenden slawischen
Länder. Dort existiert seit Menschengedenken die Legende der Víla.«
Nahla nickte zustimmend.
»Ja, so steht es auch in den
alten Aufzeichnungen der Mönche. Im Plural heißen sie Víly. Es gibt Gute und
Schlechte unter ihnen. Aber alle sind laut der slawischen Mythologie
Wiedergängerinnen. Bräute, die vor oder kurz nach ihrer Hochzeit gestorben sind
und dadurch auch ihr ungeborenes Baby mit in den Tod nahmen. Wenn ihr Ehemann
sie nicht mit der entsprechenden Hochachtung und Liebe bestattet, dann finden
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