Tränen der Lilie - Hüter der Gezeiten (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
endlich seit langen unser
erstes freies
Wochenende«, Emily strahlte nach ihrer Aussage glücklich über
das ganze
Gesicht. Endlich achtundvierzig Stunden einmal keine Leichen
mehr sehen.
Auch Amy freute sich auf ihr erstes freies Wochenende
seit Monaten.
Gestern hatte sie einen Anruf von der Hope Klinik, im Navajo
National Resort
erhalten.
Oberschwester Kiara hatte sie über die Dienstpläne der
nächsten Woche
informiert. Zum Schluss hakte sie noch einmal bei ihr nach und
fragte, ob sie
sich ihrer Sache auch wirklich ganz sicher sei. Denn das
bedeutete, dass sie
ihre gesamten freien Tage opferte, um ehrenamtlich und ganz ohne
Lohn in der
Klinik mitzuarbeiten.
»Ja«, hatte ihr Amy daraufhin voller Hingabe erwidert.
»Das möchte ich immer noch und ich freue mich sehr auf
diese Aufgabe .«
In dieser Nacht überkamen sie wieder die Visionen.
Abermals sah sie
die eisblauen, schimmernden Augen.
In einem warmen, milchigen Licht erkannte sie die
schemenhaften
Umrisse seines Gesichtes. Er warnte sie erneut und forderte sie
auf aus
Flagstaff wegzugehen. Weg von etwas Schwarzem, etwas unfassbaren
und nicht
greifbaren. Warnend zeigte er durch einen Nebel hinter sich und
da sah sie die
andere, die dunkle Version. Kalte und schwarze Augen.
»Geh weg Amy, es ist zu gefährlich für dich«, flüsterte
er und sie
spürte wie er ihr Gesicht berührte und ihr sanft, fast wie ein
Federhauch über
die Wangen strich. Sie konnte seine unbändige Kraft beinahe
körperlich fühlen
als er versuchte ihre Seele zu erreichen.
Er sah sie ganz intensiv an und kommunizierte mit ihr
ohne zu
sprechen. Nur auf der rein mentalen Ebene eröffneten sich ihre
Träume und seine
Warnungen. Amy war sich absolut sicher, dass er von indianischer
Herkunft sein
musste. Kein anderer Mensch sonst war in der Lage so derart auf
das
Unterbewusstsein Einfluss nehmen zu können.
Von diesem Gesicht mit diesen einfühlsamen, eisblauen
Augen hatte Amy
zu träumen angefangen als sie vierzehn Jahre alt war,
unmittelbar nach dem Tod
ihrer Mutter.
Vorher hatte sie sich auf dieser mentalen Ebene nur mit
Tadita
ausgetauscht. Von ihr hatte sie auch die Kunst erlernt Visionen
zu sehen. Sie konnte
keine Gedanken lesen. Aber wie viele Schamanen und Heilige gab
es immer einige
wenige Auserwählte die diese Gabe besaßen. Visionen zu
empfangen, zu lesen und
auch zu deuten.
Die durch das Auflegen der Hände auf dem Bauchnabel
eines Kranken sein
Leid erspürten, es regelrecht fühlen konnten. Tadita hatte schon
sehr bald nach
ihrer Geburt erkannt, dass auch sie diese äußerst seltene Gabe
besaß.
Wenn sie sich ansahen, erriet Amy visuell und
instinktiv die
Gefühlsregungen ihrer Mutter und umgekehrt. So konnten sie sich
beide, egal wo
sie sich gerade befanden oder welche Entfernung auch zwischen
ihnen lag
miteinander verständigen. Manchmal konnte sie auch bestimmte
Ereignisse oder
Geschehnisse der Zukunft voraussehen. Allerdings nie im
Zusammenhang mit ihrer
Familie oder ihrer eigenen Person. Zu ihren eigenen,
persönlichen Handlungen
oder Ereignisse hatte sie keinen Zugang.
Das wurde von der Geisterwelt zum Schutz der jeweiligen
Person
verwehrt. Einige der ganz großen Heiligen, wie die berühmten
Indianerhäuptlinge
Crazy Horse oder Sitting Bull hatten ohne dass sie es je
wollten, in einer
einzigen und mächtigen Vision Einblicke in die ganze Zukunft der
Welt erhalten.
Viele von ihnen benutzten dazu den Kontakt zur Geisterwelt um in
ihren
Visionen, die Kriege vorher zusehen. Amy wusste davon und auch,
dass sie noch
ganz am Anfang mit ihrer Gabe stand.
Ihre Mutter hatte sie in diese Welt eingeführt und sie
gelenkt. Aber
sie war viel zu früh gestorben, um ihr alles beizubringen. Seit
ihrem Tod
begannen in kurzen, manchmal aber auch in weit auseinander
liegenden Abständen,
die Visionen von diesem mystischen Gesicht. Er flößte ihr keine
Furcht ein, im
Gegenteil.
Jedes Mal durchfuhr sie ein warmes, seltsam vertrautes
Gefühl.
Aber jetzt in dieser Nacht, hatte er ihr zum ersten Mal
Angst gemacht.
Weil sie das Schwarze, was er ihr durch die Nebelwand hindurch
gezeigt hatte
nicht deuten konnte.
Mit einem Ruck wachte Amy schweißgebadet auf. An ein
Einschlafen war
jetzt nicht mehr zu denken. Kurzentschlossen sprang sie aus dem
Bett und
beschloss ein Glas heißer
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