Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
sollten jetzt langsam
nach Hause fahren.«
****
Abends, nachdem
der letzte Gast sich verabschiedet hatte und auch Rebecca mit
ihrer Familie gegangen war, zogen sich Amy und Mahu in die Küche
zurück, um das Abendessen vorzubereiten. Michael stand vor dem
Kamin und legte noch einige Holzscheite nach. Jetzt, im Januar,
sanken die nächtlichen Temperaturen bis auf minus zwei Grad ab.
Gedankenverloren starrte er in die knisternden Flammen und
wappnete sich auf das was gleich kommen würde, denn er hatte
Thomas Gedanken heute Nachmittag lesen können. Er musste nicht
lange warten und die Tür öffnete sich.
»Michael. Wenn sie
einen Moment Zeit haben, dann möchte ich gerne mit ihnen
sprechen.«
Zögernd schob
Michael seine Hände tief in die Taschen seiner Jeanshose und
drehte sich langsam um. Abwartend musterte er das harte Gesicht
von Amys Vater. Thomas räusperte sich umständlich, bevor er zu
sprechen anfing.
»Ich habe Milton
vorhin schon gesagt, wie sehr ich die Hilfe und Fürsorge ihrer
ganzen Familie schätze, für alles was sie für Amy getan haben.
Aber mit jedem Tag, der vergeht, glaube ich ihnen immer weniger
die Geschichte, dass ein Bär sie so schwer verletzt haben soll.
Und nach dem Zusammenbruch von Rebecca zu schließen, habe ich
mit meinen Befürchtungen wahrscheinlich mehr Recht, als mir lieb
ist.«
Nervös ging er hin
und her. Michael sah ihm mit unbewegter Miene dabei zu.
Schließlich drehte Thomas sich wieder um und sein Ton klang
jetzt hart.
»Ich weiß, dass
meine Tochter sie leidenschaftlich liebt- leider. Aber Amy ist
noch viel zu jung. Mit zweiundzwanzig Jahren kann sie ihre
Gefühle noch gar nicht richtig einschätzen und vor allem nicht
die Gefahren«, bei diesen Worten blickte er hart auf, bevor er
weitersprach.
»Ich bin der
festen Meinung, dass sie und ihre Familie etwas mit dem Grauen
im Wald zu tun haben und das macht mir Angst. Das einzige was
ich mir für mein Mädchen wünsche ist, das sie eine Zukunft hat
und das sie diese aus freien Stücken wählen kann. Geben sie ihr
die Chance dazu, Michael. Halten
sie sich von ihr
fern, bis sie ihren Weg von alleine gefunden hat. Das ist alles,
um was ich sie bitte.«
Michael hatte ihm
mit versteinertem Gesicht zugehört. Als er jetzt zu sprechen
anfing, klang seine Stimme gefährlich leise.
»Ich denke,
Professor Mallone, das sie einen großen Fehler begehen, indem
sie über den Kopf ihrer Tochter hinweg Forderungen aufstellen.
Hoffentlich werden sie das nicht eines Tages bereuen müssen.
Aber ich werde ihren Wunsch respektieren und mich zurückziehen.
Solange, bis Amy wieder ganz gesund ist und klar denken kann.«
Michael versuchte
seine enorme Wut zu beherrschen, denn sonst würde sich die Iris
seiner Augen zu einem leuchtenden Gelb verwandeln und ihn so
verraten.
Stumm bedachte er
Thomas noch einmal mit einem undurchsichtigen Blick. Dann drehte
er sich auf dem Absatz um und verließ das Haus.
Hauch der Finsternis
I hre
Schritte hallten wie ein vierfaches Echo in den riesigen,
unterirdischen Gängen wider. Unzählige, an den Seiten verankerte
Fackeln, erleuchteten die Grotte. Lautlose Flammen tanzten wie
okkulte, gespenstische Schatten durch die unendlich langen
Korridore und verbreiteten eine beinahe unerträgliche Hitze.
Trotzdem begann Lanu zu frösteln.
Nach langen
Minuten waren sie endlich am Ende des Ganges angelangt.
Die zwei Wamblis,
vom Totem der Adler, hatten ihn stumm und lautlos durch die
unzähligen Gänge des Labyrinths eskortiert. Sie, die schon seit
Jahrhunderten die Behüter der verlorenen Seelen waren, geboten
ihm jetzt abrupt stehenzubleiben. Der größere von ihnen klopfte
in einem rhythmischen Ton viermal gegen die schwere eiserne Tür,
die sich danach mit einem Knarren öffnete. Jäh brach ihm der
Angstschweiß aus und er begann leicht zu zittern, als er in die
Vorhalle des geweihten, sakralen Alkoven-Saales trat. Der
Schwefelgeruch der heiligen Thermalquellen vermischte sich mit
den numinosen und rauchigen Gewürzen des geweihten Feuers.
Lautlos gaben die
Behüter ihm ein Zeichen zum weitergehen, aber Lanu hatte das
Gefühl, das seine Beine ihn keinen Zentimeter weitertrugen. Wie
festgewachsen stand er da und sah zwischen den vier marmornen
Rundbögen ihre weißen Haare, die wie glänzende, silbergesponnene
Fäden hell aufleuchten. Das
Weitere Kostenlose Bücher