Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
immer noch
benommen von der Auseinandersetzung.
Robert sah sie an
und stürmte dann aufgebracht zum Schrank. Er öffnete die Flasche
und schenkte sich ein großes Glas ein. Danach riss er eine Dose
aus seiner Hosentasche, griff mit fahrigen Fingern einige Pillen
und spülte sie zusammen mit dem Whiskey runter.
Das alles geschah
in so kurzer Zeit, dass Amy ihn nur erschrocken anblicken, ihn
aber nicht mehr daran hindern konnte.
»Robert bist du
wahnsinnig, was soll denn das? Ich müsste aufgebracht
sein, aber du doch nicht«, energisch wischte sie sich die Tränen
von den Wangen und stand auf. Er stand apathisch an die Spüle
gelehnt. Amy versuchte ihm mit Gewalt die Flasche zu entreißen,
doch er stieß ihren Arm weg, griff erneut nach dem Glas und
kippte den Inhalt in einem einzigen Schluck runter. Wütend
schüttelte sie ihn.
»Robert, was zum
Teufel veranstaltest du hier?«
Daraufhin drehte
er sich langsam zu ihr um und sie bemerkte, dass seine Augen
schon einen leicht glasigen Ton angenommen hatten.
»Tut mir leid Amy.
Aber als ich deinen Vater so bösartig gesehen habe… ich… in dem
Augenblick überrannten mich die Bilder von meinen eigenen
Eltern. Ich bin ein Versager…«, die letzten Worte hatte er nur
noch geflüstert.
»Nein, so darfst
du nicht reden.«
»Ja, da hast du
recht, ich will auch gar nicht reden. Gib mir einfach nur ein
bisschen von deiner Wärme… bitte.«
Robert zog sie
leicht näher und Amy ließ es seufzend zu, dass er sie umarmte.
Fieberhaft begann sie zu überlegen, was sie mit ihm machen
sollte, denn in diesen Zustand konnte er unmöglich alleine nach
Hause fahren. Aber die Gästezimmer waren alle noch belegt.
Schemenhaft
blitzten in der Dunkelheit, im Geäst des Pinienbaums, funkelnde
eisblaue Augen auf. Das schneeweiße Fell richtete sich
kampfbereit auf und er konnte kaum noch an sich halten.
Eine aufkommende
Mordlust schnürte ihm die Kehle zu und die unterdrückte Wut
brannte in seinen Adern. Seit Wochen hatte Michael mit sich
gekämpft, dass Versprechen gegenüber ihren Vater einzuhalten,
bis er hinter dessen Geheimnis gekommen war. So viel Verrat an
der eigenen Tochter und jetzt musste sie sich auch noch um einen
völlig unzurechnungsfähigen Betrunkenen kümmern. Anstatt Amy in
ihren Kummer zu trösten, forderte Robert ihre Anteilnahme für
sich selber. Mit Lichtgeschwindigkeit durchsprang er die
metaphysische Dimension und landete in der Küche, genau neben
Robert. Leise knurrend fasste er dessen Arm und stieß ihn von
Amy weg.
»Wenn du sie noch
einmal anfasst, dann werde ich dich töten, hast du mich
verstanden«, flüsterte er heiser. Angewidert betrachtete er
Roberts schwankenden Körper.
»Michael…?« Amy
sah ihn überrascht an, trat auf ihn zu und legte ihm eine Hand
auf die Schulter.
»Wo warst du die
ganze Zeit?«, fragte sie fassungslos und sah ihn benommen an.
Michael spürte ihre Finger auf seinen Rücken und einen
Herzschlag lang spürte er ihre Wärme, nach der er sich so viele
Wochen verzweifelt gesehnt hatte.
»Tue ihm nichts,
er ist betrunken«, informierte sie ihn leise.
»Gerade darum
sollte ich ihn töten«, fauchte er. »Dieser Kerl lädt seinen
gesamten emotionalen Schrott bei dir ab und kümmert sich nicht
im Mindesten darum, wie es dir geht.«
Böse funkelnd ließ
er seinen Blick wieder zu Robert gleiten. Amy verstärkte den
Druck auf seine Schulter und Michael drehte sich ruckartig um.
Sie sah, dass sich seine Pupillen zu senkrechten Schlitzen
gedehnt hatten und seine Iris in einem leuchtenden Gelb
erstrahlte - das Zeichen seiner absoluten emotionalen
Anspannung.
»Bitte nicht…“,
flüsterte sie.
Michael seufzte
auf.
»Keine Angst, ich
werde ihn im Ganzen nach Hause bringen.«
Mit diesem Worten
nahm er Robert Körper und warf ihn scheinbar federleicht über
seine Schulter. Mit der anderen Hand berührte er zärtlich ihr
Gesicht.
»Ich werde ihn ins
Bett bringen und einen Eimer neben ihn stellen, den wird er
heute Nacht wahrscheinlich brauchen. Danach komme ich wieder,
okay?«
****
Amy trat aus der
Dusche, griff nach dem bereitliegenden Handtuch und begann sich
abzutrocknen. Unbewusst fiel dabei ihr Blick in dem Spiegel auf
ihren nackten Oberkörper und sie sah die hässliche, etwa dreißig
Zentimeter lange Narbe auf ihrer Brust. Noch immer war die
umliegende Haut von
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