Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
die Bettkante.
»Meine Süße, wie
geht es dir?«, fragte sie teilnahmsvoll.
Rebecca umarmte
sie fest und wollte sie scheinbar gar nicht mehr loslassen.
»Ich bin so froh,
dass du hier bist«, endlich hob sie den Kopf und Amy betrachtete
dabei ihr bleiches Gesicht.
Rebecca hatte sich
in den drei Wochen, nach Tohopka Atcittys grauenvoller Angriff
auf sie, erschreckend verändert. Vom vormals leicht pummligen
sechzehnjährigen Teenager war nichts mehr übergeblieben.
Im Bett lag nun
ein stark abgemagertes Mädchen mit eingefallenen Gesichtszügen
und gravierenden Angst-Attacken.
»Wie bist du hier
hochgekommen, ohne Aufpasser und Krankenschwester?«, fragte
Rebecca erstaunt.
Amy lachte
verschmitzt und begann zu berichten.
»Ich war bis vor
kurzem noch auf der Intensivstation und nur die engsten
Angehörigen durften mich dort besuchen. Jetzt bin ich seit ein
paar Tagen auf der normalen Station und langweile mich zu Tode.
Mein Vater und Michael sind besser als jeder Bluthund. Sie
bewachen mich rund um die Uhr und die Krankenschwestern haben
Anordnung, mich ja nicht alleine aufstehen zu lassen. Ich hätte
fragen können, ob ich dich besuchen darf. Aber dann hätten sie
mich wieder in den Rollstuhl gestopft und eine Leibgarde
mitgeschickt.«
Amy strich Rebecca
liebevoll übers Haar.
»Ich hatte Lust
dich zu besuchen und gleichzeitig meine Grenzen auszutesten.«
Amy leicht auf.
»Ich kann dir
mitteilen, dass sich so wohl meine Großmutter gefühlt haben
musste, als sie ihren neunzigsten Geburtstag feierte.«
Ein Lächeln
huschte über Rebeccas Gesicht, als Amy ihr erzählte, das sie
genau dreiundzwanzig Minuten gebraucht hatte, um die drei
Stockwerke zu bezwingen. Rebecca kicherte und sah dabei auf ihre
Uhr.
»In fünfzehn
Minuten beginnt die Besuchszeit. Du bist geliefert, wenn sie
dich nicht in deinem Bett antreffen, das ist dir hoffentlich
klar. Ich möchte nicht in deiner Haut stecken.« Danach wurde sie
wieder ernst.
»Rachel hat mir
alles von dir und Michael erzählt. Er muss dich furchtbar
lieben. Macht er dich glücklich?«, fragend schaute sie hoch.
»Ja, Michael ist
einfach alles, was ich mir je im Leben ersehnt habe. Auch wenn
er aus einer anderen Welt kommt. Er ist die andere Hälfte meines
Spiegelbildes. Hört sich vielleicht kitschig an. Aber nach
allem, was wir zusammen durchgemacht haben, kann ich kaum atmen
wenn er nicht in meiner Nähe ist«, verträumt blickte Amy auf und
betrachtete die Freundin forschend.
»Aber ich bin dich
nicht gekommen, um nur von mir zu erzählen. Wie geht es dir? Und
ich möchte eine ehrliche Antwort und nicht die Ausweichmanöver,
die du tagtäglich deinem Psychologen erzählst, okay?«
Amy wusste von
Michael, dass die beiden Schwestern nach der Tat sofort
stationär in der Hope-Klinik aufgenommen und rund um die Uhr von
erfahrenen Trauma-Psychologen behandelt wurden. Rachel hatte
sich erstaunlich schnell wieder erholt und war nach neun Tagen
in die Obhut ihrer Eltern entlassen worden. Amy schrieb das
ihren sehr viel stärkeren Charakterwillen zu. Aber sie hatte ja
auch nicht so eine Extremsituation wie Rebecca miterlebt.
Nachdem Rachel
ihren Zweck erfüllt - und ihre Schwester zu Atcitty in den Wald
geführt hatte - wurde sie von ihm mit Äther betäubt und in den
Ice Caves abgelegt. Rebecca hingegen hatte den gesamten Alptraum
bei vollem Bewusstsein erlebt. Sie wurde gefesselt und war
danach stundenlang hilflos den Werwölfen ausgeliefert gewesen,
bevor Michaels Familie sie befreien konnte. Das konnte ein schon
vorher verschüchtertes Mädchen nur schwer verkraften. Michael
hatte ihr auch berichtet, dass sie sich den Therapeuten nicht
öffnen konnte. Rebecca blickte angestrengt aus dem Fenster. Amy
ließ ihr Zeit und nach einer Weile begann Rebecca über ihre
Ängste zu reden.
»Du kannst dir
nicht vorstellen, welche Alpträume mich jede Nacht plagen. Immer
und immer wieder sehe ich Atcitty… wie er sich über mich beugt…
mir mit seinem stinkenden Atem ins Ohr flüstert, das er meine
Nieren rausreißen wird. Ich kriege seinen verwesenden Geruch
einfach nicht aus meinem Bewusstsein… überall rieche ich ihn.
Bei jedem Geräusch zucke ich zusammen und denke, jetzt kommt er
mich doch noch holen. Michael hat mir hoch und heilig
versichert, dass er unwiderruflich tot ist - ich glaube das
allerdings nicht«, flüsterte
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