Tränen des Mondes
Scheinbar ungerührt fuhr er fort: »Ich habe von neuen Perlengründen reden hören. Ich will selber nachschauen, was an den Gerüchten dran ist.« Bereits zum Gehen gewandt, meinte er beiläufig: »Vielleicht wollen Sie und Hamish ja mitkommen. Bis morgen also.«
Er schloß leise die Tür hinter sich. Draußen holte er einmal tief Atem. Olivias erschreckende Verfassung wollte ihm schier das Herz brechen.
Olivia starrte wütend auf die geschlossene Tür. »Typisch Tyndall«, fauchte sie innerlich. »Fragt nicht erst, ob ich arbeiten will, befiehlt es einfach.« Sie ging eine Weile unruhig im Zimmer umher, trat ans Fenster und betrachtete den farbenprächtigen Sonnenuntergang. Ein Bad würde ihr guttun, beschloß sie dann.
Während sie im Badewasser lag, legte sich ihr Ärger allmählich und machte einem Gefühl dankbarer Zuneigung für Tyndall Platz. In seiner direkten Art hatte er ja so recht, sie mußte jetzt an Hamish und das Geschäft denken. Conrad war tot, ihr gemeinsames Leben zu Ende. Es hatte keinen Sinn, wenn sie sich weiter in Schmerz und Selbstmitleid erging. Sie mußte der Zukunft ins Auge blicken. Allein.
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Dreizehntes Kapitel
A llmählich fand Olivia sich mit ihrem Verlust ab. In dem Moment, da sie ihr Zimmer verließ und sich der Welt wieder stellte, kehrte sie ihren Kummer nach innen und trauerte nunmehr im Stillen. Das Leben ging weiter, und Olivia widmete sich ihren täglichen Pflichten. Und mit jedem Tag fiel es ihr leichter.
Sie genoß den morgendlichen Gang zum Hafen, ehe die brennende Hitze des Tages einsetzte. Es hatte etwas Beruhigendes, die Logger am Steg liegen zu sehen, wo sie überholt oder repariert wurden. Die unglaublichen Farben des Meeres faszinierten sie jedesmal aufs neue, und das bunte Treiben in den Schuppen stimmte sie fröhlich.
Chinesen leerten ihre Fischnetze und eilten mit ihren Körben voll frischem Fisch, die sie an Bambusstangen über den Schultern trugen, in die Stadt. Bootsmannschaften waren mit dem Entladen der Logger beschäftigt und verstauten alles, was sich tragen ließ, in den Wellblechschuppen am Ufer. Philippinische Schiffszimmerer werkelten auf Gerüsten an den Booten, während malaiische Segelmacher emsig an riesigen Segeltuchbahnen arbeiteten.
Die Arbeiter der
Star of the Sea
freuten sich am ersten Tag aufrichtig, Olivia zu sehen. Sie kamen zu ihr, ein wenig verlegen ob des kulturellen und gesellschaftlichen Unterschieds, ergriffen linkisch ihre Hand und murmelten Worte des Trosts und des Mitgefühls. Olivia war sehr gerührt über diesen Empfang und bedankte sich mit einem Lächeln und einfachen Dankesworten. Es war eine sehr bewegende Szene, und Olivia bewahrte nur mit Mühe ihre Fassung. Sie zwang sich, wenn auch mit zittrigen Knien, zu einer Überprüfung des Lagerschuppens und eines im Dock liegenden Boots. Sie brachte es sogar fertig, Tyndall zuzuwinken, der an Deck eines in der Bucht ankernden Loggers stand.
Als sie jedoch die Treppe zu Conrads Büro hinaufstieg, mußte sie all ihre Kraft zusammennehmen. Sie atmete einmal tief und trat ein. Auf seinem Schreibtisch lagen zahlreiche Schriftstücke durcheinander, die oberste Schublade des Aktenschranks stand offen. Berge von Aktenordnern stapelten sich in einer Ecke und legten beredt nis ab von Tyndalls Versuch, die Betriebsführung aufrechtzuerhalten.
Olivia machte sich sofort an die Arbeit und merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Sie blickte erst hoch, als sie Schritte vor der Tür hörte und Ahmed im Eingang stand.
»Selamat pagi
, Mem.«
»Guten Morgen, Ahmed. Komm herein.«
Ahmed trat näher und blieb demutsvoll vor dem Schreibtisch stehen. Mit kummervollem Blick sah er Olivia stumm an.
»Mem …«, begann er hilflos, unfähig weiterzusprechen.
Sie nickte entgegenkommend, dann wurde ihr klar, daß Ahmed tatsächlich nicht in Worte fassen konnte, was ihn bewegte.
Schließlich berührte er mit einer schlichten Geste seinen
kris
und blickte ihr dabei fest in die Augen. »Tut mir leid, Mem. Zu spät.«
Olivia hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund, um einen leisen Schrei zu ersticken, doch sie faßte sich dann. »Danke, Ahmed. Sag nichts mehr.«
Er deutete eine kurze Verbeugung an und ging. Olivia verbarg das Gesicht in ihren Händen und begann, still zu weinen.
Am späten Vormittag erschien Tynall im Büro, zog sich einen Stuhl heran und legte die Füße auf den nunmehr aufgeräumten Schreibtisch. »John, bitte!«
»Ich bin froh, Sie hier zu sehen«, erklärte er
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