Tränen des Mondes
Probleme bereiten werden«, sagte Tyndall ruhig.
Der Sergeant leerte sein Glas in einem Zug. »Das ist gut, John. Wir könnten also eigentlich sagen, daß der Gerechtigkeit Genüge getan worden ist.«
»Ohne Papierkram.«
»Ja, Kamerad. Ohne Papierkram.«
Am Tag darauf erschien Ahmed im Büro. Dort war Tyndall gerade dabei, Conrads Papiere und Akten durchzugehen. Als Tyndall aufblickte, legte Ahmed den Samtbeutel mit den Perlen auf den Tisch. Die Männer tauschten schweigend einen Blick. Wortlos wandte Ahmed sich um und ging wieder hinaus. Tyndall verschloß die Perlen im Safe.
Conrad Hennessys Beisetzung war ein trostloses Schauspiel. Es regnete ohne Unterlaß. Die roten Lehmwände des frisch ausgehobenen Grabes gaben nach, die schmierige Masse rutschte in die Grube und zermatschte die durchnäßten Blumen auf dem Sarg.
Olivia hielt den verwirrten Hamish an der Hand, der immer wieder angstvolle Blicke auf Tyndall, Minnie, Ahmed und Yoshi warf und nicht verstand, warum sein Daddy nicht da war. Niah war mit Maya zu Hause geblieben und wartete auf Tyndall. Sie wußte, daß er Olivia in dieser schweren Stunde beistehen mußte, und zum ersten Mal überwog Mitgefühl ihre Eifersucht.
Nachdem er Minnie angewiesen hatte, Olivia mit einem Schlafmittel zu Bett zu bringen, ging Tyndall am Abend in die Logger-Bar und trank bis zum Umfallen.
Er taumelte in die kühle Nachtluft, die augenblicklich seinen benebelten Kopf klärte. Olivias verhärmtes Gesicht ging ihm nicht aus dem Sinn. Es schien so ungerecht, daß ausgerechnet ein so anständiger Mensch wie Conrad ein solch brutales, unwürdiges Ende finden sollte. Die Firma würde es verschmerzen. Für Olivia und Hamish jedoch war der Verlust unersetzlich.
Ohne zu wissen, wohin er ging, stolperte Tyndall über die Straße und in den dunklen Park gegenüber dem Hotel Continental. Sekunden später war Ahmed an seiner Seite.
»Tuan, ich habe Sulky dabei. Sie nach Hause. Nix Sheba Lane.«
»Hab keine Ahnung, wo ich bin, Ahmed. Es ist alles so schrecklich.«
»Ja, Tuan.« Ahmed nahm ihn am Arm und führte ihn auf die Straße zurück, während Tyndall vor sich hin lallte: »Arme Olivia. Wir müssen uns um sie und den Jungen kümmern. Ach, arme, liebe Olivia …« Er brabbelte weiter und schüttelte immer wieder den Kopf. Er ließ sich von Ahmed in das Sulky helfen, wo er in sich zusammensank und sofort einschlief.
Bei Tagesanbruch ließ die Wirkung des Schlafmittels nach, und Olivia erwachte mit schwerem Kopf, einem trockenen Mund und einer pelzigen Zunge. Sie ließ Minnie schlafen, weckte Hamish, zog ihn an und führte ihn an der Hand durch die schlafende Stadt, über der wie eine dichte Decke die Feuchtigkeit hing. Olivia ging langsam, manchmal trug sie Hamish ein Stück, wenn seine Beinchen schwer wurden, dann erreichte sie den kleinen Abhang, wo Conrad begraben lag. Sie stand eine geraume Weile vor dem frischen Grab. Von hier konnte man über das Meer blicken, das von diesem sonnenverbrannten Kontinent bis weit in sein Heimatland mit den weißen Klippen und feuchten Nebeln reichte. Was war ihr Leben doch für eine lange Reise gewesen und wie kurz ihre gemeinsam verbrachte Zeit.
Erinnerungen an London wurden in Olivia wach: Wie an einem Winternachmittag die Dämmerung in das Geschäft ihres Vaters einzog und wie Conrad über die Rechnungsbücher gebeugt saß. Ihre einfache Hochzeitszeremonie, ihr verwitweter Vater, der sie zuversichtlich und stolz in Conrads Obhut gab. Der Tod ihres Vaters so kurze Zeit später und, auf ihr Drängen hin, der kühne Entschluß, in Australien ein neues Leben zu wagen, auch um des Kindes willen, das sie unter dem Herzen trug. Conrad pflegte immer zu sagen: »Wenn eine Tür sich schließt, geht eine neue auf …«
Olivia dachte an den kleinen James, der an der Küste begraben lag und fragte sich, ob er nicht neben seinem Vater ruhen sollte. Sie dachte an den kurzen, harten Kampf auf ihrem Stück Land und dann an die fruchtbare Partnerschaft mit Tyndall, die ihrem Leben eine glückliche Wende gegeben hatte.
»Wo ist Daddy?« fragte Hamish plötzlich.
»Er ist im Himmel, mein Schatz. Aber an diesem Platz hier können wir immer mit ihm reden. Er ist fortgegangen an einen wunderschönen Ort.«
Hamishs Augen füllten sich mit Tränen. »Warum ist Daddy fort?«
»Mein armer Schatz. Er wollte ja nicht von uns fortgehen …« Olivia kniete sich vor den Jungen und zog ihn in die Arme. »Manchmal bittet der liebe Gott seine Engel,
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