Tränen des Mondes
Alf, der halb Aborigine, halb Chinese war. Alf wußte selber nicht, welcher Anteil in ihm überwog, und so lebte er zwischen beiden Welten. Er hatte lange Jahre als Perlentaucher gearbeitet, bis eine schwere Lähmung ihn zum Krüppel gemacht hatte. Er war gezwungen, an Land zu bleiben, und arbeitete in der Bäckerei, die seine chinesischen Angehörigen betrieben. Am frühen Morgen lieferte er mit Pferd und Wagen frisches Brot aus, den Rest des Tages vertrödelte er dann mit Vetter Wally in Kennedy's Camp unten am
Dampier Creek
. Minnies Tochter Mollie wurde von ihren Verwandten versorgt, und manchmal kam sie, um ihrer Mutter bei der Arbeit zu helfen. Niah und Maya kamen oft zu Besuch, wenn Olivia im Geschäft war, und mit Rasminah und Hamish noch dazu versammelte sich so eine fröhliche kleine Gesellschaft im Garten der Hennessys.
Aber Niahs Unmut über Tyndall und sein ständiges Zusammensein mit Olivia wuchs immer mehr. Er wischte ihre Klagen beiseite und gab ›Geschäfte‹ oder ›Verpflichtungen‹ vor. Niah fühlte sich unsicher, was ihre Stellung im Haushalt betraf, und war beunruhigt, daß Tyndall ihr Maya immer mehr entfremdete. Er nahm das kleine Mädchen fast überallhin mit und redete mit ihm, als sei es erwachsen. Mit Niah verbrachte er nur noch wenig Zeit. Sie waren nicht länger eine Familie. Niahs Rolle als heimliche Herrin des Hauses wurde mehr und mehr untergraben, und sie kam sich inzwischen vor, als sei sie nicht mehr als Mayas Kindermädchen und Tyndalls Bettgespielin.
Wann immer Niah Olivia und Tyndall am Perlenschuppen, im Geschäft oder bei den Loggern zusammen sah, spürte sie, welch freundschaftliches Verhältnis die beiden verband. Instinktiv bemerkte sie aber noch etwas anderes, etwas Unterschwelliges, eine Art Chemie zwischen ihnen, deren sich die beiden jedoch nicht bewußt zu sein schienen. Sie konnten Dinge miteinander teilen, an denen sie, Niah, nie teilhaben würde. Sie hatte nur Zugang zu Tyndall, wenn er nachts neben ihr im Bett lag. Und durch Maya natürlich. Solange sie Maya hatte, hatte sie auch Tyndall.
Niah beklagte sich nicht – mit wem hätte sie auch über ihre Gefühle sprechen können –, aber Minnie bemerkte sehr wohl, was die junge Frau quälte.
Einige Wochen lang hielt sich Niah zurück. Dann schlüpfte sie eines Abends, als Tyndall mit Maya bei Olivia war, aus dem Haus. Sie hatte sich mit Minnie bei Sonnenuntergang am Ufercamp verabredet.
Die ältere Frau musterte sie mit einem mitfühlenden Blick. »Hast Kummer, was?«
»Ja, Tante. Meine Seele ist schon ganz lange Zeit krank.« Wie es in der Gemeinschaft der Aborigines üblich war, war Minnie für Niah eine Tante geworden, nachdem sie ihre gemeinsame Abstammung entdeckt hatten. Minnie kam aus demselben Clan und war nur aufgrund ihrer Heirat in die Stadt gezogen. Niah versuchte zu erklären, warum sie trotz ihres Gönners mit ihrem Leben so unzufrieden war.
Minnie hörte aufmerksam zu und nickte bedächtig, als Niah schilderte, wie besessen Tyndall von seinem Kind war. Sie begann wie von ungefähr das Muster von Niahs Muschelanhänger in den Sand zu zeichnen.
»Warum das malen, Tante?«
»Ist Frauensache, Niah. Von unserer Sippe. Bald Zeit für Zeremonie für Mädchen, du besser mit Maya hingehen. Bei Zeremonie dabeisein.«
Niah strahlte Minnie an. »Wie komme ich hin?«
»Wally unten in Kennedy's Camp. Er nimmt dich mit, wenn er geht zurück. Aber langer Weg.«
»Das ist gut. Wann geht er?«
»Weiß nich. Wenn er fertig ist. Pack ein paar Sachen.«
Als Niah in der Dämmerung nach Hause ging, war sie sehr zufrieden. Nach langer Zeit hatte sie endlich wieder einen Lebensinhalt.
Sie begrüßte Tyndall mit einem strahlenden Lächeln und nahm Maya an sich, um sie zu füttern. Sie erzählte ihr von dem bevorstehenden
walkabout
und erklärte dem neugierig fragenden Kind, warum sie sich auf diese lange Wanderung machten.
Als die Monsunzeit sich dem Ende zuneigte, griff Tyndall die Idee wieder auf, nach neuen Perlengründen zu suchen und den neuen Logger zu testen. Er schlug Olivia vor, ihn mit Hamish zu begleiten. Zunächst zögerte sie, weil der Junge noch nie auf See gewesen war. Sie würde die Sache aber mit Hamish besprechen.
»Kapitän Tyndall hat uns gefragt, ob wir ihn auf einer Fahrt an der Küste entlang begleiten wollen. Würde dir das gefallen?«
»Auf dem Schiff? Wir sind die ganze Zeit auf dem Schiff?«
»Ja. Du könntest seekrank werden oder dich langweilen.«
»Nein, das wird Spaß
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