Tränen des Mondes
gelackten Haaren, und drehten sich auf ihren hohen Holzsandalen, den
zoris
. In einem uralten Tanz flatterten ihre Hände von den langen Falten der goldenen und farbenprächtigen Gewänder auf wie weiße Tauben. Die Menge der Zuschauer sah stumm zu, das eindringliche Klagen der hohen Frauenstimmen und die Saitenklänge der
samisens
stiegen in die Nachtluft auf.
Die Aborigines im Hintergrund nickten, sie kannten die Bedeutung einer zeremoniellen Verbindung mit den Ahnen, wie sie hier auf dem roten Staub unter dem Sternenhimmel dargestellt wurde.
Sehr viel später, nach einem Fest in einem der Stadtparks, folgte die Menge der japanischen Gemeinde zur Bucht hinunter. Dort wurden eigens angefertigte kleine Boote aus Mangrovenholz, beladen mit Speisen und Blumen und beleuchtet von einer winzigen Laterne oder Kerze, ins Wasser geschoben. Diese Boote würden die Geister zurück zu ihren Ahnen geleiten.
Während die japanische Trauergemeinde am Ufer kniete und zum langsamen Schlag einer Trommel Gebete sang, glitten Hunderte kleiner Lichter mit der Flut in die Bucht hinaus.
Weiter unten in der Bucht legte der rot-schwarze Schoner lautlos ab und glitt aufs offene Meer hinaus.
Amy stand an Deck, starrte auf die zurückweichenden Lichter von Broome und die Flotte winziger Lampions, die über die Bucht schaukelten, und wurde von einem flüchtigen Moment des Zweifelns ergriffen.
Karl Gunther gesellte sich zu ihr. »Reuegedanken?«
»Bißchen spät dafür, was?«
»Ja, zu spät. Aber wenn du nicht spielst, gewinnst du auch nicht«, meinte Gunther achselzuckend.
»Wenn möglich, ziehe ich Sicherheit vor«, antwortete Amy.
»Ich dachte, das hättest du inzwischen kapiert, Amy: Es gibt nichts Sicheres im Leben. Alles ist nur ein großes Spiel … du mußt nur auf der Seite der Gewinner sein.«
»Werden wir zu den Gewinnern gehören, Karl?«
»Wir haben die Perlen, wir haben einen Plan, wir haben die Chance, einen Haufen Kohle zu machen. Wie ich schon sagte, es gibt nichts Sicheres im Leben. Aber ich würde sagen, in diesem Spiel haben wir die Nase vorn.«
Amy antwortete nicht sofort, sondern überdachte noch einmal ihre Lage. Mit Karl Gunther hatte sie mehr zu gewinnen, als wenn sie in Broome geblieben wäre. Außerdem hatte sie sämtliche Brücken hinter sich abgebrochen und war bereit, sich allem zu stellen, was vor ihr lag.
Als die kräftiger werdende Brise die Segel aufblähte, legte sich das Schiff leicht nach Backbord. Amy griff nach einem Seil und schaute aufs Meer hinaus, zum aufgehenden Mond. Plötzlich fühlte sie sich voller Schwung, erregt und ungeheuer lebendig. Sie drehte sich zu Gunther um, der am Ruder stand, und sagte munter: »Du hast recht, Karl. Wir haben die Nase vorn.«
Als Rosminah spätabends vom
O-Bon-Matsuri
-Fest zurückkehrte, fand sie die Tür zu Tyndalls Schlafzimmer angelehnt. Sie wagte sich hinein. Drinnen war es stockfinster, kein Licht brannte, die Rolläden waren geschlossen. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Dunkel, und sie sah, daß Tyndall quer über dem Bett lag, ein Arm baumelte herab, sein Atem ging rasselnd und flach. Das kleine Fläschchen mit der braunen Flüssigkeit war leer und lag umgekippt auf dem Nachttisch wie auch das Glas. Neben dem Bett auf dem Boden breitete sich eine kleine Wasserlache aus. Rosminah rannte los und holte den Arzt.
Als die Sonne aufging, hatte Tyndall die kritische Phase überstanden. Der Arzt rieb sich die Augen und lächelte Ahmed zu, der auf der anderen Seite des Betts saß. »Er kommt durch. Zum Glück hat er nicht das ganze Laudanum genommen. Er muß es verschüttet haben, als er nach dem Wasserglas tastete. Noch mehr, und sein Atem wäre zum Stillstand gekommen.«
»Sie glauben, sie hat ihm zuviel gegeben?«
»Diese Frage müssen Sie Mrs. Tyndall selbst stellen. Vielleicht hat sie meine Anweisungen nicht ganz verstanden. Ich werde eine erfahrene Krankenschwester kommen lassen, die ihn pflegen soll.«
Sobald der Arzt gegangen und Tyndall zur Ruhe gekommen war, begann Ahmed mit der Suche nach Amy.
Im Laufe des Vormittags erfuhr er, daß sie mit Karl Gunther davongesegelt war. Sie hatte das Haus auf den Klippen verlassen und ihre persönliche Habe mitgenommen. Unten im Hafen wollte man aufgeschnappt haben, Gunther hätte eine ›ausgedehnte Reise‹ nach Fernost vor.
Ahmed nickte vor sich hin und murmelte ein kurzes Dankgebet an Allah. Diese Nachricht würde Tyndalls Heilung zweifellos vorantreiben.
Sergeant O'Leary
Weitere Kostenlose Bücher