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Tränen des Mondes

Tränen des Mondes

Titel: Tränen des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Besatzungsmitglieder zu melden. Tyndalls Aussage könne warten, fügte er mitfühlend hinzu.
    Ursprünglich war Amy an Tyndalls Seite geflohen, weil sie Angst hatte, er wäre nicht ernstlich krank und würde den Diebstahl der Perlen aus seinem Safe schnell entdecken. Als sie merkte, wie bedenklich sein Zustand war, empfand sie ungeheure Erleichterung und auch ein bißchen Mitleid.
    Doch sie wurde immer unruhiger, als die Tage verstrichen und bei Tyndall leise Anzeichen der Besserung eintraten. Allmählich aß er mehr und schlief besser. Er versuchte, sich mit Amy zu unterhalten, ermüdete aber rasch, weil sie wenig zu ihrem Gespräch beisteuerte und ihn immer nur drängte, sich auszuruhen und wieder zu schlafen. Im Schlaf rief er mehrmals nach Olivia, was Amy maßlos erzürnte.
    Bald mußte Amy feststellen, daß die anhaltende Verwirrung ihrer Gedanken sie ihrer Kraft beraubte. Gunther hatte ihr erzählt, sein Schiff wäre in wenigen Tagen mit den nötigen Vorräten ausgerüstet und startbereit, doch er bräuchte noch Zeit, um irgendwelche nicht näher erläuterten Geschäfte unter Dach und Fach zu bringen, und müsse außerdem das Telegramm aus Sydney abwarten.
    Jetzt hatte Amy die Lage in der Hand und viel Zeit zur Verfügung, Zeit zum Nachdenken und Zeit, um sich verwundert zu fragen, was sie getan hatte und wie es weitergehen sollte. Und sie wußte auch, daß Tyndalls Leben in ihren Händen lag. Diese Macht, die Macht über Leben und Tod, löste in ihr gleichzeitig Erregung und Entsetzen aus und hielt sie stundenlang wach, wenn sie verzweifelt zu schlafen versuchte. Und im einsamen Dunkel einer schlaflosen Nacht malte sie sich heimlich aus, welche Vorteile ihr durch Tyndalls Tod erwachsen würden. Vielleicht hätte sie einen Anspruch auf seinen gesamten Besitz. Dann hätte sie es nicht mehr nötig, mit Gunther in See zu stechen. Aber der Raub fesselte sie an Gunther, so war es doch, oder? Er ließ sich nicht mehr rückgängig machen.
    Sie spürte die Perlen an ihrem Körper, doch ihre Gedanken schweiften ab, Bilder des Todes zogen vor ihr auf. Aber er stirbt nicht … außer … Sie ertappte sich bei dem Gedanken an eine Überdosis der Medizin. Das könnte ihn töten … Laudanum … eine Überdosis … aber das wäre ja Mord. Sie stieß den Gedanken beiseite, doch lästig kehrte er zurück, immer wieder, und quälte sie, bis sie vor lauter Erschöpfung einschlief.
    In der Kühle, die dem Morgengrauen vorausging, wachte sie auf, vor Kälte schlotternd, und zog sich ein Laken über die Schultern. Sie schaute zu Tyndall hinüber, der sich ruhelos hin und her warf. Ihr Blick wanderte zum Nachttisch hinüber, wo ihn das Fläschchen mit der Medizin in den Bann zog, und diese schrecklichen Gedanken belagerten sie wieder. Stumm rannen ihr die Tränen herab, und sie betete, daß das Licht des Tages käme und die schwarzen Gedanken vertriebe, die sie die Nacht über angewandelt hatten.
    Früh morgens überbrachte ihr ein Matrose von Gunthers Schiff eine Nachricht.
    Meine liebe Partnerin,
    in zwei Tagen ist alles bereit. Am Abend hat die Flut genau den richtigen Stand, außerdem findet bei den Japanern ein kleines Fest statt, mit dem alle beschäftigt sein werden. Pack deine Sachen.
    Karl
    Amy ließ sich in einen Sessel fallen und brach zusammen. Nicht wegen der Erkenntnis, daß es jetzt kein Zurück mehr gab, sondern wegen des Hinweises auf das Fest. Dies war ein Fest, das den Toten gewidmet war. Ein ununterdrückbares Schluchzen schüttelte sie, während sie auf den ruhelosen Tyndall und seine Medizin neben dem Bett blickte.
     
    Zwei Tage später begann am Stadtrand das
O-Bon-Matsuri
-Fest. Diese Zeremonie, mit der die Japaner ihre Ahnen ehrten, war in der Stadt ein bedeutendes Ereignis und begann, sobald der Abend dämmerte, im japanischen Teil des Friedhofs, der vom Teil der Weißen abgetrennt war. In einer feierlichen Prozession versammelte sich die japanische Gemeinde mit ihren Opfergaben, Speisen und Sake, bei den Gräbern. Weihrauchstäbchen brannten, die Gräber waren mit Origamiblüten oder frischen Blumen geschmückt. Der Name auf jedem Grabstein wurde von einer kleinen blauen Laterne beleuchtet. Nach einigen Gebeten führten die Japanerinnen einen zeremoniellen Tanz vor,
O-Bon Odori
. Bei den Frauen handelte es sich um die nächtlichen Geschöpfe aus Sheba Lane, die sich selten in der Öffentlichkeit zeigten. Doch an diesem Abend wiegten sie sich sanft, gekleidet in traditionelle Seidenkimonos und mit

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