Tränen des Mondes
ich wußte, daß ich schwanger war, konnte ich wirklich nicht anders handeln. Ich hätte mich von meinem Baby nicht trennen können, um keinen Preis der Welt.«
Olivia bemühte sich, die Wogen der Gefühle zu glätten. »Versuchen wir doch, die Situation ganz sachlich zu betrachten. Maria ist entschlossen, die Wahrheit über ihre Vergangenheit herauszufinden. Wenn Sie ihr nichts erzählen wollen, müssen wir es auf andere Weise versuchen. Aber Sie werden ihr doch sicher nicht ihr Recht auf Aufklärung vorenthalten wollen, egal, was sich daraus ergibt. Maria hat sich nun einmal so entschieden.«
Die Barstows wechselten einen Blick, doch Mr. Barstow wurde sofort von dem kleinen Mädchen abgelenkt, das mit einem angebissenen Keks in der Hand sein Knie hochzuklettern versuchte. »Zutrauliches kleines Ding«, sagte er mit einer Spur von Zärtlichkeit in der Stimme, nahm ihr behutsam den Keks ab und wischte ihre Hand mit einer Serviette sauber. Mrs. Barstow lächelte flüchtig, ging zum Schreibtisch in der Ecke hinüber und suchte in den Schubladen herum, bis sie einen gelben Umschlag gefunden hatte.
»Da steht alles drin«, sagte sie rasch. »Eine Mitteilung der Adoptionsbehörde. Nicht viel über ihre Herkunft, abgesehen davon, daß sie aus einer Aborigine-Mission nördlich von Broome kommt. Der Vater ist ein Weißer. In der Missionsstation liegen sicher Dokumente mit weiteren Einzelheiten.« Sie schwieg, während Olivia und Maria gemeinsam den Brief lasen. Dann fuhr sie fort: »Wirklich, Maria, ich glaube, du machst einen großen Fehler.«
»Mama, mein ganzes Leben lang haben mich diese Erinnerungen verfolgt. Mein Leben lang hatte ich zuviel Angst davor, auch nur ein Wort darüber fallenzulassen, sogar dir gegenüber. Aber jetzt ist alles ans Licht gekommen, und ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin. Ich weiß nicht, ob das ein Fehler ist oder nicht. Ich weiß, daß ich als Weiße gelte und daß die meisten Leute die Aborigines für primitiv, für Menschen zweiter Klasse halten, aber ich kann nicht mehr leugnen, was ich bin. Es ist, als würde ich von etwas getrieben, von irgendeinem Geist …« Maria ließ sich in ihrem Sessel zurückfallen, legte die Hand an ihre Stirn und schloß die Augen. »Ich weiß nicht, es ist alles so verwirrend. Ich kann schlecht erwarten, daß du mich verstehst. Ich verstehe das Ganze ja selbst kaum.«
Olivia drückte kurz Marias Hand, dann wandte sie sich an die Barstows. »Ich glaube, unser nächster Schritt wird es sein, nach Broome zu fahren. Ich danke Ihnen herzlich, daß Sie uns diesen Brief gezeigt haben. Er scheint alles zu bestätigen, das ist ein großer Schritt nach vorn.«
Jetzt forderte die Kleine wieder mehr Aufmerksamkeit und versuchte, auf Mrs. Barstows Schoß zu klettern. Die Frau konnte dem Verlangen, das Mädchen hochzunehmen, nicht widerstehen. »Ein hübsches Kind, nicht wahr?«
»Ein einziges Energiebündel. Sie stellt dauernd etwas an, es ist unglaublich mit ihr«, sprudelte Maria rasch hervor, um die mildere Stimmung ihrer Mutter zu nutzen. »Bleibt keine Minute still sitzen und ist abenteuerlustiger als jeder Junge.«
»Ein bißchen wie ihre Mutter, meinst du nicht auch, Fred?« sagte Mrs. Barstow und warf ihrem Mann einen kurzen Blick zu. »Du warst auch nicht ohne, als du zu uns kamst, Maria, das kannst du mir glauben.«
Olivia ließ sich vom allgemeinen Schwelgen in Erinnerungen anstecken. »Maya oder Maria war in diesem Alter wie ein richtiger Junge. Sie hat viel mit meinem Sohn gespielt und mit ihm dauernd irgenwelchen Unfug ausgeheckt.«
Das Gespräch spann sich noch eine Weile fort, doch die Barstows blieben hinter ihrer Mauer der Zurückhaltung verschanzt und Olivia wurde klar, daß sie keinen Schritt weiter auf sie zugehen würden. Da gab sie das Zeichen zum Aufbruch ins Hotel, weil es für die Kleine Zeit zum Schlafen war.
»Bevor du gehst, solltest du noch deine Sachen mitnehmen, die du zurückgelassen hast, Maria«, sagte Mrs. Barstow und eilte aus dem Zimmer, Maria folgte ihr. Im Schrank ihres Zimmers stand ein abgewetzter Schulranzen, der mit billigem Schmuck, alten Briefen, ihrer alten Lieblingspuppe und einigen Fotos vollgepackt war.
Der Abschied verlief sehr förmlich, Mr. Barstow reichte beiden Frauen die Hand, nickte und konnte sich kaum mehr als gute Wünsche für die Heimreise nach Perth abringen. Mrs. Barstow gab Maria und dem schläfrigen Kind einen flüchtigen Kuß auf die Wange. »Vielleicht schreibst du uns,
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