Tränen des Mondes
nickte. Die Männer wechselten kurz einen Blick. Sie ließen die Zügel los und wanderten noch einmal um den Wagen herum.
»Wo wollen Sie 'n hin?«
»Ich war auf dem Weg nach Kap Leveque.«
»Die Straße is nich gut für so 'ne Karre.«
»Das hab ich auch schon gemerkt. Aber es war der einzige Leihwagen, den ich kriegen konnte. Wenn Sie mir hier raushelfen, fahre ich wieder nach Broome zurück.«
Die beiden Männer schoben und ruckten mit aller Kraft, bis der Jeep wieder auf der Piste stand. »Tausend Dank. Ich bin so froh, daß Sie vorbeigekommen sind. Was machen Sie eigentlich hier draußen?«, wollte Lily wissen.
»Sind Viehtreiber. Hüten Vieh auf dem Land der Mission.«
»Welcher Mission?«
»Beagle Bay. Nich weit. Sie haben die Abzweigung nach rechts verpaßt. Is besser, wenn Sie da bis morgen bleiben. Is bald Nacht.«
»Stimmt, ich habe keine Lust, im Dunkeln zurückzufahren.« Lily sah, wie die letzten Sonnenstrahlen am Horizont verschwanden.
Die Männer gingen wieder zu ihren Pferden.
»Wo wollen Sie jetzt noch hin?« fragte Lily.
»Stückchen weiter übernachten. Wir haben Vieh an 'nem Wasserloch«, erklärte einer der Viehtreiber.
»Also, noch mal vielen Dank für Ihre Hilfe.« Lily gab den Männern die Hand und war überrascht von ihrem sanften Händedruck.
»Kein Problem«, grinste der Jüngere, und dann schwangen sich beide in ihre Sättel, mit einer fast akrobatischen Geschmeidigkeit, die Lily in Staunen versetzte.
Sie fuhr die Strecke mit äußerster Konzentration und Umsicht zurück, und irgendwann erfaßten ihre Scheinwerfer eine Stelle am Pistenrand, die mit einem Pfosten markiert war. Lily hielt an und stieg aus. Im Staub lag ein verwittertes Blechschild. BEAGLE BAY 8 KM las sie im Scheinwerferlicht.
Die Straße war in einem erschreckenden Zustand, schmal und voller Furchen. Lily fuhr mit größter Vorsicht und die meiste Zeit im zweiten Gang. Es war bereits stockdunkel, als sie die kleine Ansiedlung erreichte, die wie ausgestorben dalag. Ab und zu entdeckte Lily menschliche Schatten vor schachtelgroßen Häuschen mit der üblichen Feuerstelle im Hof. Sie fuhr langsam weiter, passierte einen kleinen eingezäunten Friedhof und hielt dann unvermittelt an, wie geblendet von der strahlenden Erscheinung, die sie vor sich sah.
Im Licht des Vollmondes, der rund und satt am Himmel hing, stand eine weißgekalkte Kirche, majestätisch schimmernd wie das Taj Mahal. Lily stellte den Motor ab und ging neugierig näher heran. Sie bemerkte, daß die Kirchentür einen Spalt offenstand, drückte sie behutsam auf und trat leise ein.
Sie blinzelte mehrmals und brauchte eine Weile, bis sie sich in der wundersam befremdlichen Umgebung zurechtfand. Das Innere der Kirche schimmerte und leuchtete in dem milden Licht, das durch die bunten Glasfenster drang. Lily entdeckte einen kleinen Tisch mit Kerzen und Streichhölzern. Sie zündete eine Kerze an und leuchtete rundherum.
Der silbrige Schimmer rührte von Muschelschalen. Zu Tausenden schmückten sie Decken und Wände oder umrahmten Fensteröffnungen und Nischen in kunstvollen geometrischen Mustern. Bilder und Wandgemälde waren von sorgfältig gearbeiteten Mosaiken aus Perlmutt umlegt. Lily konnte das Wunder kaum fassen. »Wie unglaublich schön«, flüsterte sie.
Die Kirche strahlte Ruhe, Sicherheit und Frieden aus. Lily blies die Kerze aus und ging zu ihrem Wagen zurück. Sie setzte sich wieder ans Steuer und parkte den Jeep gleich neben dem kleinen Gotteshaus. Dann rollte sie sich auf dem Rücksitz zusammen und fiel sofort in tiefen Schlaf.
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Drittes Kapitel
A ls die Sonne den Wagen unerbittlich aufzuheizen begann, regte sich Lily unruhig. Ein leichtes Klopfen am Wagenfenster schreckte sie auf. Sie saß kerzengerade.
Vor dem Fenster zeichneten sich Kopf und Schulter eines Mannes ab. Er klopfte noch einmal. Lily kurbelte die Scheibe ein Stück herunter.
»Guten Morgen«, ertönte es fröhlich. Der Mann war im fortgeschrittenen Alter. Sein spärliches graues Haar stand ihm wirr um den Kopf.
»Äh, guten Morgen«, grüßte Lily zögernd.
»Haben Sie geschlafen?«
»Ja, habe ich.«
Er schob eine braungefleckte Banane durch den Fensterspalt. »Möchten Sie mein Frühstück mit mir teilen?«
Lily nahm die Gabe dankbar entgegen, entriegelte die Wagentür und stieß sie auf. »Ich hatte gestern eine kleine Panne mit dem Wagen und hab es nur noch bis hierher geschafft. Ich heiße Lily.«
»Ich bin Bruder Wilhelm. So, Sie wollen uns also
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