Tränen des Mondes
das Lager der Aborigines aufsuchten. Der weiße Mann beherrschte ihre Sprache gut genug, um sich verständlich zu machen. Er bat sie, ein Auge auf die Frau am Strand zu haben. Dann besprach er noch ein paar andere Dinge mit den Stammesältesten, und die beiden Männer kehrten auf ihren Schoner zurück.
Olivia hatte sich in der Zwischenzeit einfach auf den Boden gesetzt, weil sie völlig am Ende war. An eine Blechkiste gelehnt, dachte sie nach. Natürlich hatte sie nicht mit ihm nach Broome fahren können, aber vielleicht wäre es ihm mit seinem kleinen Schiff gelungen, nach Cossack zu segeln. Vielleicht hätte sie ihn bitten sollen, auf Conrad zu warten. Statt dessen hatte sie sich wie eine Dame auf einem Kaffeekränzchen benommen und ihn hochmütig abgewiesen. Nun, zumindest fühlte sie sich nach diesem überraschenden Besuch nicht mehr so gottverlassen allein. Lieber Himmel, hoffentlich kam Conrad zurück, bevor es dunkel wurde. Der Gedanke an die Nacht rief ihr die Streichhölzer in Erinnerung. Sie hätte den Mann bitten sollen, ihr ein paar Streichhölzer dazulassen. Olivia stand auf und schleppte sich zu der felsigen Landspitze. Aber es war kein Schiff mehr zu sehen.
Auch von Conrad fehlte noch jede Spur, als die Dämmerung einsetzte. Olivia kam sich unsagbar einsam und verlassen vor, als sie das Häufchen trockenes Gras und Zweige betrachtete, das sie nicht hatte entzünden können. Sie aß ein paar Haferflocken, trank einen Schluck Wasser und hockte sich am Meer nieder, um sich das Gesicht zu benetzen. Sie wußte, daß das Salzwasser der Haut nicht gut bekam, aber sie wollte Trinkwasser sparen. Müde, wie sie war, saß sie im feuchten Sand und kühlte ihre wunden, geschwollenen Füße im Meerwasser.
Es war schon fast dunkel, als sie sich auf den Rückweg zu ihrem kleinen Unterschlupf machte. Einen Moment lang meinte sie, Rauchgeruch auszumachen, aber der Himmel war ganz klar. Als sie jedoch zu ihrem bescheidenen Lager zurückkam, wollte sie ihren Augen nicht trauen.
Einer der Aborigines, die sie schon gesehen hatte, saß im Schneidersitz vor den Resten ihres erloschenen Feuers. Konzentriert drehte er ein dünnes Stöckchen auf einem Stück Holz. Als ein Funke erglomm, beugte er sich nieder und blies hinein. Ein Flämmchen wurde entfacht, dann noch eins, schließlich stieg ein dünner Rauchfaden auf. Das Gras schmorte und fing an zu glimmen. Sachte blies der Mann in die winzige Glut, streute ein paar Grasschnipsel hinein, bis das Feuer brannte. Er beachtete Olivia gar nicht. Sie hatte sich ihm gegenüber hingehockt und wagte kaum zu atmen, während er bedachtsam seine Aufgabe ausführte. Als das Feuer richtig loderte, richtete der Mann sich auf und strahlte Olivia an.
»Danke«, flüsterte sie.
Sie verstand seine Antwort nicht. Die Worte klangen kurz und kehlig, wie keine andere Sprache, die sie je gehört hatte. Dankbar wärmte sie ihre Hände an der Flamme, die ihr Sicherheit und praktische Hilfe bedeutete, warmes Essen und Licht. Dann quälte sie sich wieder hoch und holte noch mehr Holz herbei, um das Feuer in Gang zu halten.
Als sie an ihre Feuerstelle zurückkehrte, war der Mann in die sanft fallende Dunkelheit entschwunden.
In dieser Nacht schlief Olivia unruhig, gequält von allerhand fliegenden, stechenden Insekten. Als der Morgen endlich kam, warf sie einen Ast auf die Glut und war erleichtert zu sehen, daß das Feuer wieder aufflackerte. Sie fühlte sich voll neuer Energie. Heute würde Conrad bestimmt kommen. Voller Vorfreude machte sie sich daran, ihre Sachen, die überall im Lager verstreut lagen, zusammenzupacken und zu verstauen. Sie sammelte auch noch mehr Brennholz. Sie sehnte sich nach frischer Nahrung, und ihr schwindender Trinkwasservorrat beunruhigte sie. Vielleicht könnte der Eingeborene, der ihr Feuer entfacht hatte, sie zu einer Wasserstelle führen. Sie hatte zwar weder etwas gesehen noch gehört, aber sie spürte, daß die Aborigines in der Nähe waren und sie beobachteten.
Als der Morgen fortgeschritten war, fühlte Olivia sich sehr erschöpft. Ihre Glieder schmerzten und ihr war so seltsam zumute. Sie schob es auf den Mangel an vernünftiger Nahrung, trank ein paar Schluck Wasser und beschloß, einen Spaziergang zu machen, um sich abzulenken. Hinter den Sanddünen gab es nichts als niedriges Gebüsch, sandige rote Erde, spindeldürre Bäumchen und ab und zu einen großen Eukalyptusbaum. Die Hitze machte ihr zu schaffen. Als sie auf eine kleine Lichtung kam, ließ sie sich
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