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Tränen des Mondes

Tränen des Mondes

Titel: Tränen des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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im Schatten nieder und schloß erschöpft die Augen. Jäh schreckte sie auf, als ihr Körper von einem heftigen Schmerz gepackt wurde. Sie krümmte sich, als der Schmerz sie wieder durchfuhr und ihren Körper zu durchbohren schien. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schock: Sie würde ihr Kind ganz allein zur Welt bringen, mitten in der Wildnis.
    Stöhnend kämpfte sie sich auf die Füße. Sie hielt sich den Bauch, in dem das Kind unerbittlich nach unten drückte. Nach wenigen taumelnden Schritten zwang der Schmerz sie erneut zu Boden. Auf die Seite gekrümmt, wiegte Olivia sich stöhnend in den Wehen. Sie verlor jeden Sinn für Raum und Zeit, spürte nur noch ihren Körper, der ihr diese Qualen verursachte. Ihrer mißlichen Lage nur allzu bewußt, hatte sie schreckliche Angst und schrie nach ihrem Mann. Endlich sank sie in einen Dämmerschlaf.
    Wie durch einen Nebel spürte sie eine sanfte Hand, die ihr über die heiße Stirn strich. Feste Hände richteten ihre Beine gerade. Jemand hob sie auf.
    »Conrad, ich wußte, du würdest kommen«, stöhnte Olivia und mühte sich, wieder zu Bewußtsein zu kommen. Als sie jedoch erleichtert die Augen aufschlug, sah sie nicht ihren Mann vor sich, sondern blickte in die dunklen Augen einer schwarzen Frau. Zwei andere Aboriginefrauen murmelten Worte, die sie nicht verstand und zerrten an ihrer Kleidung. Eine erneute Wehe machte es Olivia unmöglich, sich zu wehren. Bald wurde ihr klar, daß die Frauen ihr helfen wollten, und sie überließ sich ihren erfahrenen Händen. Man befreite sie von der Stoffülle ihrer Röcke. Sie ging in die Hocke, von vorne und hinten gestützt. Die dritte Frau gab die Anweisungen. Endlich bäumte sich Olivia ein letztes Mal auf und spürte, wie das Baby aus ihr herausglitt. Ein zufriedenes Grunzen der Frau, die die Befehle gab, gab ihr zu verstehen, daß alles in Ordnung war. Rasch drehten sie das Kind mit dem Gesicht zur Erde, zogen die Nabelschnur frei und durchtrennten sie mit einem scharfen Feuerstein. Dann preßten sie mit geübtem Griff Olivias Bauch, damit die Nachgeburt eintreten konnte.
    Die Frauen halfen Olivia, sich bequem hinzulegen. Dann kümmerten sie sich um das Baby. Sie hoben es auf und zeigten ihr mit breitem Lächeln, daß sie einen Sohn geboren hatte. Olivia lag immer noch schwach und zitternd da und rang mühsam nach Atem. Sie schoben ihr eine gummiartige Substanz in den Mund, an der sie, wie ihr bedeutet wurde, lutschte, bis sie spürte, daß ihre Kräfte wiederkamen. Sie vertraute diesen Frauen jetzt ohne Vorbehalte und verfolgte mit Staunen, wie sie eine aschenartige Paste auf ihren schmerzenden Körper strichen. Dann wandten sie sich wieder dem Kind zu. Ein kleines Feuer brannte. Olivia konnte sich nicht entsinnen, wer es angezündet hatte oder wer das Loch gegraben hatte, in dem jetzt die Plazenta begraben wurde. Nachdem die Frauen grüne Blätter auf das Feuer gelegt hatten, hielten sie das Baby in den Rauch und malten mit Asche und roter Paste ein Muster auf seine helle Haut.
    Während sie das Baby versorgten, summten die drei Frauen leise einen alten Gesang. Dieses Ritual sollte das Kind mit der Mutter Erde verbinden und ihm seinen Platz in der
Traumzeit
schenken, den Platz seiner Zugehörigkeit, den Platz, an den seine Seele zurückkehren würde, wenn seine Zeit auf dieser Erde abgelaufen wäre. Olivia verstand nichts von all dem, sie sah nur, daß ihr Kind sich wach und zufrieden in guten Händen befand. Die Frauen reichten ihr das Baby und Olivia legte es an die Brust. Dabei lächelte sie zum ersten Mal.
    Dann schlief sie. Ihre Helferinnen warteten geduldig. Als die Nacht anbrach, brachten sie Olivia und das Kind zum Lager zurück. Ein Feuer brannte. Als sie den Geruch von Essen wahrnahm, überfiel Olivia unbändiger Hunger. In der Glut des Feuers garte ein Fisch. Während Olivia es sich bequem machte, holte eine der Frauen den Fisch mit einem Stock aus dem Feuer. Sie ließ ihn abkühlen und befreite ihn dann von der verkohlten Haut. Sie zerteilte das gare weiße Fleisch und reichte Olivia die Stücke, die sie gierig verschlang. Dann warfen die Frauen noch einmal grüne Blätter auf das Feuer. Ein durchdringender, beißender Rauch breitete sich aus. Die Frauen zogen sich zurück und überließen Olivia und das Kind ihrer Nachtruhe. Zufrieden lag Olivia neben dem Feuer und betrachtete verzückt das kleine vollkommene Menschlein in ihren Armen.

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    Fünftes Kapitel
    A m nächsten Morgen hing Feuchtigkeit in der Luft wie

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