Tränen des Mondes
nachsehen.« Mit diesen Worten ging Tyndall davon.
Bald darauf kamen beide Männer in lebhafter Unterhaltung zurück. Vor dem Wagen machten sie Halt, um gemeinsam zu überlegen, wie er freizubekommen wäre. Olivia legte das schlafende Kind in die Wiege und gesellte sich zu ihnen.
»Hallo, meine Liebe«, begrüßte sie Conrad. »Was für ein Glück, daß Kapitän Tyndall uns gefunden hat. Er sagte, er hätte den Rauch gesehen.«
»Hast du Wasser mitgebracht?«
»Die Frauen haben mir eine kleine Quelle gezeigt. Wir haben Glück!«
»Und wir haben mit den Männern Frieden geschlossen«, fügte Tyndall hinzu.
»Er spricht ihre Sprache«, sagte Conrad beeindruckt. John Tyndall deutete auf das Gespann. »Ich glaube kaum, daß Pferd und Wagen den Rückweg überstehen werden«, gab er zu bedenken. »Ich schlage vor, Sie reisen mit mir nach Cossack zurück. Auf meinem Schoner ist genug Platz für Ihre Sachen.«
»Ein wirklich großzügiges Angebot«, bedankte sich Conrad. Dann sah er Olivias besorgte Miene. »Stimmst du mir nicht zu, Olivia?«
»Der Gedanke, wieder auf dem Wasser zu sein, behagt mir gar nicht.«
»Glauben Sie mir, Mrs. Hennessy, das Meer hat sich beruhigt. Die Reise wird so um einiges schneller und weniger beschwerlich für Sie.«
»Nun denn, wenn Conrad zustimmt. Es ist sehr freundlich von Ihnen.«
Am Abend brachte Ahmed Vorräte aus der Kombüse an Land und kochte ihnen ein Fischcurry mit Reis. Am späten Morgen des nächsten Tages stachen sie in See. Als Olivia in der folgenden Nacht auf ihrer winzigen Koje in der engen, stickigen Kabine der
Shamrock
lag, sehnte sie sich beinahe nach ihrem Lager am Strand zurück. Sie sehnte sich nach dem anheimelnden Licht des Lagerfeuers, ja sogar nach dem unangenehm beißenden Rauch der Blätter zurück, die verbrannt wurden, um die Insekten zu vertreiben.
Am nächsten Tag saß Olivia still an Deck und hielt ihren immer noch namenlosen Sohn in den Armen. Conrad stand neben John Tyndall am Ruder, Ahmed am Bugspriet. Er steuerte das Schiff sicher durch
Butcher's Inlet
, eine von Mangroven gesäumte schmale Bucht. Sie hatten geladen, was nur ging, und den Rest ihrer Habseligkeiten am Strand zurückgelassen. Das Pferd lief jetzt frei durch den Busch.
Draußen auf dem Wasser herrschte eine Hitze, die brannte wie loderndes Feuer und Olivias Lebensgeister sofort lahmlegte. Jarman Island lag wie ein Wellenbrecher etwa vier Meilen vor der Küste in der Flußmündung. Da das Wasser bei Ebbe bis zu fünf Meter fiel, legten die meisten Schiffe hier an. Passagiere und Fracht wurden dann ans Ufer gerudert. Tyndall und Ahmed segelten jedoch weiter in die Mündung hinein und machten am
Deep-Hole
-Anleger gegenüber der Stadt fest, wo das Schiff noch genug Tiefgang hatte.
Als sie in Cossack an Land gingen, war Olivia so müde und erschöpft, daß sie nichts Gutes an dem schäbigen Ort finden konnte. Das geschäftige Städtchen lag auf einem Sandstreifen, umgeben von Mangrovensümpfen und felsigen Hügeln. Einige wenige aus Stein gebaute öffentliche Gebäude – das Zollhaus und die Post – machten einen halbwegs soliden Eindruck. Was Olivia jedoch beunruhigte, waren die Ketten, die bei einer Reihe von Häusern über die Dächer liefen und fest mit den Fundamenten verschraubt waren.
Auf ihren fragenden Blick zuckte Tyndall nur die Achseln:
»Willy-willys
, der Wind kann hier ganz schnell in einen Zyklon ausarten.«
Tyndall setzte Conrad und Olivia in ein Sulky und machte mit ihnen eine kleine Erkundungstour durch Cossack. Unterdessen lud Ahmed ihre Sachen auf einen Wagen und brachte sie zu Tyndalls Haus.
Das Örtchen lag zwischen zwei Hügel gebettet, im Osten lag der
Nanny-goat
, im Westen der
Reader Head
, der das Meer überragte. Im Süden verlief ein Damm mitten durch die Mangroven bis nach Roebourne. Es gab eine Holzkirche und zwei Läden. Das schlagende Herz der Stadt war aber das Chinesische Viertel, auch
Japtown
genannt, das sich in westlicher Richtung bis zum Friedhof erstreckte. Sie fuhren an chinesischen Geschäften vorbei, einem indischen Schneider, einem japanischen Laden, einer chinesischen Bäckerei, einem türkischen Bad, an Opiumhöhlen und japanischen Freudenhäusern. Verbotene Schnapsschenken gab es zuhauf, sie waren nicht einmal besonders getarnt. Einige dieser Behausungen waren nicht mehr als primitive Hütten, während die
mia-mias
der Aborigines weiter draußen am Ortsrand lagen, wie Tyndall erklärte.
Auf Olivia wirkten all diese
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