Tränen des Mondes
hier jeder sein Glück machen. Der Boden ist in der Regenzeit sehr ertragreich, und Land gibt es mehr als genug. Trotzdem scheitern die meisten.«
Olivia fühlte sich gekränkt von der Andeutung, sie wären gescheitert. Man muß es ihr angesehen haben, denn Mrs. Hooten fügte rasch hinzu: »Sie hatten natürlich gar nicht die Möglichkeit herauszufinden, wie Sie zurechtgekommen wären. Wie schrecklich tragisch das alles.« Mit Begeisterung fuhr sie fort: »Ich bin sicher, Ihr Schicksal hat sich zum Guten gewendet. Glauben Sie mir, Mrs. Hennessy, der Perlenhandel boomt, das behauptet jedenfalls mein Mann. Schade nur, daß die Branche so viel übles Volk anzieht, finden Sie nicht auch? Ich meine, die unteren Schichten, die Asiaten und so.«
Bevor sich Olivia noch eine passende Antwort überlegen konnte, lenkte die Frau eines der führenden Perlenunternehmer das Gespräch in andere Bahnen. »Sie wollen doch sicher einem unserer Wohlfahrtskomitees beitreten, Mrs. Hennessy. Es wäre auch reizend, wenn Sie uns in so manchen Dingen auf den neuesten Stand bringen könnten. Wir sind schon so lange aus England fort. Gott sei Dank wird das gesellschaftliche Leben hier jetzt etwas angeregter, da mehr Frauen hinzukommen. Wir veranstalten Bälle, Rennen, Konzerte und ein wunderbares Picknick, das sich allmählich zum Ereignis des Jahres entwickelt.«
»Nun, eigentlich hatte ich vor, mich in die Arbeit zu stürzen«, meinte Olivia unbekümmert, und sofort erstarb das Gespräch.
Nach einigen Momenten eisigen Schweigens unterbrach Mrs. Hooten die Stille: »Arbeit? Was für Arbeit, Mrs. Hennessy?«
»Das Perlenfischen … vielmehr, etwas, was mit dem Perlengeschäft zu tun hat … vielleicht Büroarbeit.«
»Tatsächlich«, meinte die Gastgeberin mit hochgezogenen Brauen. Sie spielte scheinbar gleichgültig mit ihrer Lorgnette, die sie an einer langen, perlenbesetzten Kette trug. »Wie interessant.« Dann wandte sie sich mit schriller Stimme den übrigen Gästen zu, daß die Teetassen nur so klapperten: »Meine Damen, ich glaube jetzt ist es kühl genug für eine Runde Krocket. Auf den Rasen, meine Damen.«
Olivia merkte, daß sie ins Fettnäpfchen getreten war. Sie beschloß, in Zukunft ihre beruflichen Vorhaben nicht mehr so unbekümmert herauszuplappern. An ihrem Entschluß, in das Geschäft einzusteigen, würde sich jedoch nichts ändern. Andererseits wußte sie auch, daß es in so einer kleinen Stadt für das Geschäft unabdingbar war, von den einflußreichsten Familien akzeptiert zu werden. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf gesellte Olivia sich zu den Damen auf dem Krocketrasen und bemühte sich, den leichten und munteren Ton anzuschlagen, der offenbar bei den Elitedamen Broomes als chic galt.
Als sie die Residenz verließ, wartete Ahmed geduldig vor dem Tor. Er fuhr mit ihr die
Dampier Terrace
entlang. Sie kamen an den Arbeiterunterkünften vorbei, an Sortierbaracken und Packschuppen, am Schiffsanleger, wo die Logger vertäut lagen, an einem Schiffsbauer, einem Segelmacher und an einer Sattlerei. Sie passierten eine Schusterwerkstatt, einen Gemischtwarenladen und das Dampier Hotel, das nach Ahmeds Worten bei Japanern sehr beliebt war. Das Sulky hielt vor einem zweistöckigen weißen Holzgebäude, in dem sich mehrere Büros und die Werkstatt eines Perlenpolierers befanden.
Ahmed zeigte stolz auf ein neues Firmenschild neben der schmalen Eingangstür: STAR OF THE SEA PEARL CO . stand da.
Olivia stand rätselnd davor. Was sollte sie hier?
»Das sind wir, Mem. Tuan hat Namen gegeben.« Mit übertriebener Förmlichkeit half er ihr vom Wagen und deutete nach oben.
Olivia raffte den Saum ihres Kleides und erklomm die wackelige Treppe. Sie betrat ein Büro, das aus zwei kleinen Räumen bestand.
Conrad saß hinter einem Schreibtisch, der mit Papieren und neuen Aktenordnern übersät war. Er sprang auf, als Olivia eintrat, und schloß sie in die Arme. »Ab heute haben wir geöffnet. Nicht, daß wir schon Kundschaft gehabt hätten, nur einen Haufen Papierkram. Was sagst du dazu?« fragte er und wies mit einer ausladenden Geste auf die spartanische Einrichtung und die leeren Wände.
»Ein bescheidener Anfang, ganz wie es sich geziemt, denke ich.« Olivia nickte anerkennend.
»Bescheiden? Dann sieh dir mal das andere Büro an«, konterte Conrad grinsend.
Sie gingen nach nebenan. Dort fanden sie Tyndall auf einem Drehstuhl, die Füße auf dem Schreibtisch, der bis auf eine Flasche Whisky leer war. Ansonsten herrschte
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