Tränen des Mondes
Besatzungen bereits ohne Arbeit, hatte Tyndall keine Mühe, ein paar Männer mit guten Empfehlungen zu finden. Bevor er sie anheuerte, überprüfte Ahmed ihre Empfehlungsschreiben und nisse, indem er Erkundigungen bei den jeweiligen Landsleuten einholte.
Broome war ein ganz besonderer Ort. Die geschäftige, lebhafte Atmosphäre begeisterte Olivia. Die ganze Stadt schien eine Art Verwegenheit auszustrahlen. Selbst der zurückhaltende Conrad ließ sich dazu hinreißen, der Stadt einen gewissen aufregenden Kolonialcharme zuzugestehen.
Broome war Heimathafen für mehrere hundert Perlenlogger. Sie lieferten das Perlmutt, das weltweit in der Kleiderindustrie für Knöpfe gebraucht wurde. Richtige Perlen zu finden war ein Extrageschäft. Von dem Erlös bekam die Mannschaft einen kleinen Teil und der Perlenunternehmer einen großen. Während der Saison, aber auch in der Regenzeit, wenn die Perlenfischerei ruhte, brodelte Broome nur so vor Gerüchten und Geschichten über Perlenfunde. Man klatschte über den glücklichen Finder, über die Größe der Perlen, über den Käufer und über den Preis. Erfahrene und gerissene Perlenhändler kamen von überall her, aus Paris, London, New York, Singapur, Hongkong und Shanghai, um in Broome Perlen für die großen Juwelenhäuser der Welt zu kaufen. Während es im Perlmutthandel offen zuging, rankten sich wohlgehütete Geheimnisse, Intrigen und Gerüchte um die Perlen. Von Mannschaften und Tauchern gestohlene oder unterschlagene Perlen gingen an Schwarzmarkthändler sowie an jeden, der darauf aus war, sie mit Gewinn weiterzuverkaufen.
Das Städtchen glich eher einem Slum als einer richtigen Ortschaft. Die Häuser bestanden überwiegend aus Wellblech, Farbe und Anstrich galten offenbar als überflüssige Geldausgabe. Hier und da in den besseren Vierteln hatte jemand versucht, diese Kargheit mit etwas Gartengestaltung aufzulockern, aber im großen und ganzen war der Ort nackt und ungeschützt der brütend heißen Sonne oder, je nach Jahreszeit, den tobenden Monsunstürmen ausgesetzt. Im Geschäftsviertel dominierten die chinesischen Händler, die auch als Geldmakler und Kreditverleiher tätig waren. Die Wohnviertel der europäischen und der asiatischen Bevölkerung waren fein säuberlich getrennt. Auch wenn die Macht bei der weißen Minderheit ruhte, Broome ließ sich nicht zähmen. Die Kultur der Weißen war nur eine wacklige Fassade vor der brodelnden Mischung asiatischer Subkulturen.
Das bemerkenswerteste Gebäude der Stadt war das
Cable House
, ein elegantes Bauwerk aus Holz und Stahl mit einem prächtigen Billardzimmer. Diese Pracht war der angemessene Rahmen für das Wunder der Technik, das dieses Gebäude barg – das Telegraphenkabel, das die abgelegene Kolonie mit dem britischen Mutterland verband.
Nur ein paar Tage nach ihrer Ankunft machte Conrad dem Friedensrichter C. R. Hooten seine Aufwartung. Dieser hatte sich rasch vergewissert, daß es sich bei dem Besucher um einen Gentleman mit einer Frau aus guter Familie handelte. Er nahm sich vor, die Hennessys auf seine Einladungsliste zu setzen. Innerhalb der weißen Bevölkerung gab es strenge gesellschaftliche Regeln, und jeder Neuankömmling wurde sorgfältig überprüft.
»Ich bin sicher, meine Frau wird Ihre liebe Gattin bald einladen, damit sie die anderen Damen kennenlernen kann. Es gibt hier nur wenige Damen aus gutem Hause, dafür um so mehr von zweifelhafter Herkunft.« Zu Conrads Entsetzen zwinkerte der Mann ihm bei dieser Bemerkung deftig zu. Conrad war sich nicht ganz sicher, auf was der Friedensrichter anspielte, aber er hatte schon davon gehört, daß es vor Ort an Bordellen nicht mangelte.
Conrad gab einen kurzen Bericht über das, was sie bisher in diesem Land hatten erleiden müssen.
»Üble Sache«, bemerkte der Richter. »Übrigens, es wäre besser, wenn Ihre liebe Gattin ihre, äh, Begegnung mit den Aborigines nicht erwähnte. Wir verkehren natürlich nicht mit den Schwarzen. Obwohl ich zugeben muß, daß einige von ihnen gute Arbeiter sind. Natürlich nur die von den Missionsschulen. Die meisten sind faul, sie verlassen im unpassendsten Moment ihre Arbeit und ziehen in den Busch.
Walkabout
nennen sie das. Ich traue denen nicht über den Weg. Man weiß nie, ob einem nicht einer irgendwann nachts einen Speer in den Rücken rammt.«
»Warum sollten sie das tun?«
»Oh, die haben so eine fixe Idee, daß irgendein Weißer ihnen etwas Böses angetan hat, und darum muß jeder beliebige Weiße, der
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