Tränen des Mondes
nicht.«
Olivia konnte nur mit Mühe ein Lächeln unterdrücken. Geduldig erklärte sie ihrem Mann, daß die Ehefrauen von Perlenunternehmern gelegentlich mitfuhren und daß es so unschicklich nicht sei. Manch eine hatte sogar die ganze Saison an Bord verbracht.
»Ja schon, aber du fährst ja nicht mit deinem Ehemann, oder?« entgegnete Conrad triumphierend.
»Ist das so schlimm?«
»Ist das so schlimm? Ist das so schlimm?« Conrad redete sich in Rage. »Hast du den Verstand verloren, Olivia? Die Leute werden denken, du hast einen Sonnenstich!«
»Werde nicht ausfallend, Conrad.« Olivia wurde ernstlich böse.
»Entschuldige. Aber was sollen die Leute davon halten?«
»Ich bin sicher, daß man Kapitän Tyndall vertrauen kann, Conrad. Und da jedermann weiß, daß ich aktive Teilhaberin dieses Geschäfts bin, finde ich meinen Wunsch nur allzu verständlich. Für mich wird das ein großes Abenteuer. Ich werde mitfahren, basta.«
»Du wirst seekrank werden.«
»Ich wurde auf der Fahrt von Fremantle nach Cossack seekrank, weil ich schwanger war. Außerdem war es eine lange Reise unter harten Bedingungen.« Olivia zögerte einen Moment, und als sie mit trauervollem Blick weitersprach, bebte ihre Stimme vor Schmerz. »Es gibt noch einen Grund, warum ich fahren muß, Conrad.« Sie sank in einen Rohrstuhl und stützte den Kopf in die Hand. »Wir könnten auf unserer Fahrt kurz in Cossack anlegen. Schau, ich gebe mir ja alle Mühe, hier in Broome mit dem Leben fertig zu werden, aber ein Teil von mir liegt in Cossack begraben. Ich muß einfach hin, Conrad. Ich muß sein Grab besuchen, das mußt du doch verstehen. Er ist unser Sohn.«
Conrad ging vor ihr auf die Knie und nahm ihre Hand. »Ich verstehe dich ja, aber man darf so eine Entscheidung nicht leichtfertig treffen«, meinte er ernst. Da kam ihm ein rettender Gedanke. »Also gut, wenn du es durchaus willst, dann geh. Aber nur, wenn John zustimmt. Schließlich ist er der Kapitän, und was er sagt, wird gemacht.«
»Natürlich«, lächelte Olivia und schlang die Arme um ihren Mann.
Tyndall saß an Deck und war damit beschäftigt, Taue zu spleißen, als die Reisetasche neben ihm landete. Er warf einen Blick auf die Tasche und dachte bei sich, »Mein Gott, sie hat es geschafft«. Als er sich umwandte, sah er Ahmed breit grinsend am Anleger stehen und Olivia einen Schritt hinter ihm.
»Nun, da bin ich«, verkündete sie in herausforderndem Ton.
Tyndall hieß sie lächelnd willkommen und reichte ihr die Hand, um ihr an Bord zu helfen.
»Ich hätte nicht geglaubt, daß aus dieser verrückten Idee etwas werden würde«, gestand er Olivia. »Aber ich freue mich«, schloß er aufrichtig.
»Vermutlich ist es verrückt, aber das schert mich nicht, selbst wenn einige Leute in der Stadt ihre Stirn runzeln werden. Eigentlich ist alles, was mir seit meiner Ankunft in diesem Land widerfahren ist, irgendwie verrückt.«
Tyndall sah, wie ein trauriger Schatten über ihre Augen fiel und wie ihr Mund schmal wurde. Rasch lenkte er ab, indem er ihre Tasche nahm und die Kabinentür aufschob. »Es sieht so aus, als ob der Wettergott mitspielt und wir eine angenehme Fahrt haben werden. Kommen Sie, wir werden die Staatskabine für Sie herrichten.« Befriedigt nahm er zur Kenntnis, daß sein Scherz immerhin ein schwaches Lächeln bei Olivia auslöste.
Am Fenster seines Büros stand Conrad und blickte der
Bulan
nach, wie sie durch den mangrovengesäumten Kanal in die Bucht hinaussegelte. Das Bild von Olivia, wie sie in ihrem von Wind gebauschten Rock am Bug stand, mit einer Hand den Strohhut festhielt und mit der anderen kurz in seine Richtung zurückwinkte, brannte sich ihm ins Gedächtnis. Einen flüchtigen Moment lang verspürte er tief in seinem Inneren einen heftigen Stich, so als ob seine Frau mit dem Schiff auch aus seinem Leben verschwinden würde, aber er verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Nein, sagte er sich, Olivia wurde nur erwachsen … veränderte sich … das war zu erwarten gewesen. Trotzdem, mein Gott, sie wurde so unberechenbar, ja geradezu aufsässig. Zugegeben, sie hatten viel Kummer und Schmerz durchgemacht, das erklärte manches. Eine kleine Verrücktheit. Ganz verständlich. Das würde vorbeigehen. Mit einem Seufzer wandte Conrad sich wieder seinem Schreibtisch zu und fühlte sich durch seine vernünftigen Erklärungen beruhigt.
Die Segel bauschten sich in der steten Brise, und weiße Schaumkronen säumten ihren Weg, als der Bug der
Bulan
durch
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