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Tränen des Mondes

Tränen des Mondes

Titel: Tränen des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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dankbaren Lächelns. Tyndall hielt sich ebenfalls auf Distanz. Er hatte Verständnis für den Aufruhr ihrer Gefühle und wollte ihr Zeit lassen.
    Eines Mittags gelangten sie zu dem kleinen Küstenstrich, wo sich eines ihrer Behelfslager befand, und gingen vor Anker. Als Ahmed sie ans Ufer ruderte, ertönten Willkommensrufe aus dem Busch, und schon waren sie von Aborigines umringt, die aufgeregt Grußworte und Neuigkeiten schnatterten.
    Erfreut entdeckte Olivia unter ihnen die Frauen und Männer, die ihr in ihrer größten Not beigestanden hatten, und wechselte rasch einen Blick mit Tyndall. Darauf erklärte er ihnen in ihrer Sprache, was Olivias Baby widerfahren war. Die Frauen antworteten mit schnalzenden Lauten und einem Schwall von Worten, die Tyndall Olivia mit leiser Stimme übersetzte. »Die Frauen sagen, Ihrem Baby geht es gut, es ist an seinen Platz in der
Traumzeit
zurückgekehrt.«
    Der Schmerz drohte Olivia erneut zu überwältigen. Mühsam unterdrückte sie ein Schluchzen und suchte Halt an Tyndalls Arm, bis sie sich wieder gefaßt hatte. »Bitte, sagen Sie ihnen, daß ich sehr dankbar für diese Mitteilung bin.« Sie zögerte einen Moment, ehe sie fortfuhr: »Sagen Sie ihnen, ich bin sehr froh, daß sie James in die
Traumzeit
geleitet haben.«
    Die Frauen nickten zufrieden, nahmen Olivia an der Hand und führten sie zu einem riesigen Regenbaum. In seinem Schatten bildeten sie einen Kreis und begannen das uralte Ritual des Wehklagens und Trauerns. Olivia saß leise schluchzend dabei, sie empfand nichts als eine entsetzliche Leere in sich. Doch als die Gesänge und das Wehklagen endeten, war ihr, als ob sie aus dem geteilten Schmerz neue Kraft gewonnen hätte, und sie empfand tiefe Dankbarkeit diesen Menschen gegenüber.
    Am Strand war unterdessen damit begonnen worden, die Vorräte mit Hilfe der Aborigines an Land zu schaffen. Tyndall äußerte sich nicht zu der Zeremonie, er betrachtete sie als Frauensache und fand es klüger, sich nicht einzumischen. So beschränkte er sich auf die Mitteilung, daß die Verhandlungen über das Muschelsammeln erfolgreich waren und die Männer in zwei Tagen mit der Arbeit beginnen würden. Die Verzögerung hatte offenbar mit den Vorbereitungen zu irgendeiner Stammeszeremonie zu tun.
    »So eine Zeremonie kann um nichts in der Welt verschoben werden«, knurrte Tyndall. »Entweder wir richten uns nach ihrem Zeitverständnis oder wir können nicht arbeiten.«
    »Zeit scheint hier keine Rolle zu spielen«, meinte Olivia nachdenklich.
    »Ein ganzer Teil unserer Welt spielt hier keine Rolle«, bemerkte Tyndall und machte sich wieder ans Entladen des Dinghis.
    Olivia setzte sich in den Sand, und während sie dem Treiben zuschaute, sann sie über Tyndalls letzte Bemerkung nach und darüber, wie selbstverständlich sie sich auf die Trauerzeremonie der Aborigines eingelassen hatte, die für sie ein bewegendes Erlebnis gewesen war. Sie hatte bei dieser Zeremonie eine Art Läuterung der Seele erfahren und fühlte sich nun von ihrer inneren Last befreit. Seit sie James in Sicherheit wußte, war der Gedanke an ihn nicht mehr so schmerzhaft für sie.
     
    Als die Eingeborenen zur Arbeit bereit waren, warteten sie, bis die Ebbe einsetzte. Dann zogen sie über die Korallen und den schlickigen Meeresgrund und füllten in den wenigen Stunden, da der Schlamm zugänglich war, ihre Körbe mit Muscheln. Einige wanderten im seichten Wasser umher und bückten sich nach den Muscheln, die sie mit geübtem Blick erkannt oder mit den Füßen ertastet hatten. Ein paar Männer und zwei junge Frauen ruderten mit dem Dinghi ein Stück hinaus, sprangen ins Wasser und suchten den Grund nach Muscheln ab. Wieder andere tauchten direkt vom Logger aus drei oder vier Faden tief und brachten reiche Beute an die Oberfläche.
    Tyndall sah den Arbeiten mit zufriedener Miene zu. »Sie sind geborene Taucher«, erklärte er Olivia. »Aber früher sind sie maßlos ausgenutzt worden. Richtiggehend mißbraucht. Vor zwanzig, dreißig Jahren haben die ersten Perlenhändler, besser gesagt, die skrupellosesten unter ihnen, die Eingeborenen einfach gekidnappt und sie bis zum Umfallen zum Perlentauchen gezwungen. Auch die Frauen. Von den Frauen hieß es sogar, daß sie besser tauchten als die Männer.«
    Olivia war entsetzt. »Das muß ja furchtbar gewesen sein. Warum haben die Behörden das nicht verhindert?«
    »Haben sie ja. Zumindest haben sie im Parlament ein Gesetz erlassen. Der Arm des Gesetzes mag ja lang sein, nur

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