Tränen des Mondes
Tyndall eine feste Regel aufgestellt. Wenn andere Mannschaften zur abendlichen Unterhaltung an Bord der
Shamrock
kamen, mußte sie in der Kabine bleiben. Er wies sie an, erst dann an Deck zu kommen, Wenn der letzte Besucher gegangen war.
Eines Abends saß sie, das Kinn auf den angezogenen Knien, an den Hauptmast gelehnt und starrte auf das mondbeschienene Wasser. Während sie dem sanften Knarren des Tauwerks und dem leise gegen den Schiffsrumpf klatschenden Wasser lauschte, konnte sie sehen, daß fast alle Boote ihre Laternen gelöscht hatten, mit Ausnahme des Schoners
Amborisa
unter ›Wild‹ Bill Levens Kommando. Eine schwankende Laterne über der Bordseite warf ein schwaches Licht auf ein winziges Ruderboot, in das ein Mann hineinzuklettern versuchte. Sie hörte einen Ruf, ein dumpfes Krachen und einen Fluch, dann Gelächter von zwei Männern, als das kleine Boot heftig hin und her schaukelte. Nach lallenden Rufen und Abschiedsgrüßen nahm das Boot Zickzackkurs auf die
Shamrock
.
Niah blieb still sitzen, bis das Dinghi mittschiffs gegen die Strickleiter stieß. Dann sah sie, wie Tyndall sich bemühte, das Boot festzumachen, und eilte wortlos zur Reling, beugte sich hinunter, nahm die Bootsleine und hielt sie fest, während Tyndall, der mehrmals abrutschte, schwerfällig an Bord kletterte. Als hätte er sie nicht gesehen, stolperte er ohne ein Wort zur Hauptkabine.
Nachdem sie das Dinghi am Heck vertäut hatte, folgte Niah Tyndall mit leisen Schritten. Er lag quer über seine Koje gestreckt in der dunklen Kabine, ein Bein und ein Arm hingen auf den Boden.
Niah bückte sich und zog ihm die Segelschuhe und die Socken aus, und als er müde ein Auge öffnete, zerrte sie an seinem Hemd und zog es mit etwas Hilfe von Tyndall von seinem Körper. Er beobachtete sie stumm, als sie sich über ihn beugte und seinen Gürtel aufschnallte, nach und nach die Reihe von Knöpfen öffnete und seine Hose herunterstreifte. Tyndall warf seine Unterkleidung auf den Boden und lag schweigend und bewegungslos da.
Niah stand neben dem Bett, schaute kurz auf ihn herunter und lächelte zufrieden, entknotete dann ihren Sarong und ließ ihn auf den Boden fallen. Tyndalls Gesicht zeigte eine kaum merkliche Regung beim Anblick des goldbraunen Mädchenkörpers, den das einfallende Mondlicht sanft erhellte. Niah ließ sich sanft auf seinen Körper gleiten, und seine Arme schlossen sich fest um sie.
Die
Shamrock
zerrte an ihrer Ankerkette, die Holzplanken erzitterten leise und das Tauwerk knarrte, als das Schiff sich in den Armen des Meeres wiegte und Niah lustvoll in Tyndalls starken Armen seufzte.
Am Morgen kam Ahmed leise an Deck, holte einen Becher dampfenden schwarzen Kaffees aus der Kombüse und ging zur Hauptkabine, um den säumigen Kapitän zu wecken. Er blieb in der Kabinentür stehen, als er Niah an Tyndall geschmiegt schlafen sah.
Ehe er sich zurückziehen konnte, schlug Tyndall die Augen auf, gähnte und lächelte kurz. »Laß den Tee stehen, danke, Ahmed. Ich stehe gleich auf.«
Ahmed nickte mit ausdrucksloser Miene und ging wieder an Deck, wo er sich an den Säcken mit Muschelschalen zu schaffen machte.
Tyndall erschien geraume Zeit später. Er sah äußerst selbstzufrieden und erstaunlich frisch aus. Er erwähnte Niah mit keiner Silbe und verkündete lautstark, nachdem er sich beim Koch
makan
bestellt hatte: »Heute werde ich unter Wasser gehen.«
Ahmed blickte überrascht auf. »Ist das klug, Tuan, wenn Ihr so eine …« Ahmed machte eine bedeutungsvolle Pause. »… so eine Nacht verbracht habt? Alkohol im Blut ist nicht gut fürs Tauchen.«
»Schon längst weggeschlafen«, erwiderte Tyndall fröhlich. »Nein, es ist beschlossene Sache. Sag Yoshi, er kann sich eine Weile an Deck ausruhen, und ich gehe ins Wasser. Es gibt nur eine Möglichkeit herauszufinden, was da unten los ist. Es darf doch nicht sein, daß ich mich von den Tauchern für dumm verkaufen lasse und mir Schauermärchen anhören muß! Ich muß das alles mit meinen eigenen Augen gesehen haben.«
Ahmed wußte, daß alle Einwände zwecklos waren. Er nickte und ruderte zur
Bulan
hinüber, um der Mannschaft zu erklären, daß der Kapitän tauchen wollte.
Tomoko Yoshikuri, der japanische Taucher, war nicht gerade erfreut, als er vom Vorhaben des Kapitäns erfuhr. Durch dieses kleine Abenteuer würden sie mindestens einen halben Tag Arbeit verlieren, und das, wo er doch je nach Menge der gesammelten Muscheln einen Zuschlag bekam. Wenn der Kapitän nicht
Weitere Kostenlose Bücher