Tränen im Regen
gerade mit einem Knoten in seinen Schnürsenkeln kämpfte. Er fluchte.
„Ich geh' ran“, sagte Dale, der ihm gefolgt war, und nahm das Handy von der Kommode. „Dale hier... Ja, sind wir... Okay, machen wir. Bis gleich.“
„Was ist los?“, wollte Kilian wissen, nachdem er mit den Schuhen fertig war und den Autoschlüssel aus dem Mund genommen hatte.
„Niko holt uns ab“, antwortete Dale und zuckte die Schultern, als Kilian ihn fragend ansah. „Scheinbar war er in der Nähe und dachte sich, dann kann er uns gleich mitnehmen.“
„Seine und Alex' Wohnung liegt in entgegengesetzter Richtung von zu Hause“, wunderte sich Kilian, zuckte am Ende aber ebenfalls die Schultern. Vielleicht hatte Niko irgendwelche Besorgungen gemacht oder sonst etwas. „Ist ja auch egal. Hast du alles?“
Dale hielt die Reisetasche hoch, die sie gepackt hatten, da eine Familienparty immer das Übernachten beim jeweiligen Austragungsort mit einschloss. Kilian nickte zufrieden und grinste gleichzeitig. Austragungsort. Das klang, als würden sie zu einem Sportwettkampf fahren. Aber es passte irgendwie, denn wenn es bei ihren großen Partys eines gab, dann Action. Irgendetwas ging immer schief oder endete im reinsten Chaos, so wie der letzte große Campingausflug in die Wälder um Cumberland herum, wo sie erst von einem Gewitter mit Hagel, Sturm und Regen überrascht worden waren, um danach auch noch im Wald festzusitzen, weil eine Schlammlawine alle ihre Wagen festgesetzt hatte und die Handys durch den Sturm keine Verbindung gehabt hatten.
Das Ende davon waren drei verstauchte Knöchel, zwei Grippefälle, ein gebrochener Finger und sieben Erkältungen gewesen. Camping in der Hölle, hatte Connor am nächsten Tag dazu gesagt und ein Jahr später einen Horrorthriller in die Buchläden gebracht, wo die Camper von einem Monster umgebracht worden waren. Kilian hatte das Buch im Regal, obwohl er bis heute nicht wusste, wer von den Campern er gewesen war. Connor hatte es ihnen nie erzählt, sondern immer nur amüsiert gegrinst, sobald Kilian ihm deshalb auf die Nerven gegangen war.
Irgendetwas war im Busch. Kilian wusste es sofort, als Niko keine fünf Minuten später vor dem Haus hielt und mit einem Grinsen, das so falsch war, dass es Kilian wehtat, aus dem Wagen stieg. „Fertig für die große Party?“
Kilian runzelte misstrauisch die Stirn. „Was ist los?“
Niko seufzte und zuckte dann die Schultern, bevor er die Wagentür hinter sich zuwarf und zu ihnen kam. „Dir ist klar, dass du Colin verdammt ähnlich bist?“
„Nun sag' schon“, forderte Kilian, denn jetzt war er sich sicher, dass etwas nicht stimmte.
„Ich dachte, es ist besser, wenn ihr es vorher erfahrt.“ Niko sah von ihm zu Dale und wieder zurück. „Ich habe vor einer Stunde Alex vom Flughafen abgeholt.“
Wie bitte? Kilian starrte Niko fassungslos an. Alex war wieder im Land? Er war hier? Zu Hause? Auf der Familienparty? Und das erfuhr er erst jetzt? „Wie lange?“
Niko schüttelte den Kopf, verstand sofort, was er meinte. „Keiner wusste es. Alex hat niemandem vorher Bescheid gesagt, ich habe ihn das Gleiche gefragt. Er rief vor drei Stunden bei mir an und bat mich ihn abzuholen.“ Niko sah die Straße hinunter. „Ich wollte im ersten Moment nicht, da bin ich ehrlich, aber Alex ist und bleibt mein Bruder. Ich habe ihn bei Colin und Mik abgesetzt und bin dann sofort hergefahren, weil ich wusste, dass ihr jetzt los wolltet.“
„Wie geht es ihm?“, war alles, was Kilian dazu einfiel.
Niko sah ihn wieder an. „Auf den ersten Blick gut.“
„Und auf den zweiten Blick?“
„Irgendwas stimmt nicht mit ihm“, antwortete Niko leise und fuhr sich durch die Haare. „Er sagt zwar, es wäre nichts, aber ich weiß genau, wann mein Bruder lügt.“
„Du bist stinksauer auf ihn, nicht wahr?“, fragte Dale auf einmal und Niko sah ihn an, um dann zu nicken. „Wäre ich auch, wenn einer meiner Brüder so etwas abgezogen hätte.“
Kilian sagte nichts dazu, musste sich aber eingestehen, dass es ihm nicht viel anders ging. Er war wütend. Sehr wütend sogar. Doch gleichzeitig machte er sich Sorgen um Alex, denn wenn Niko meinte, dass etwas nicht stimmte, dann stimmte auch etwas nicht. Die Party versprach spannend zu werden und Kilian war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Wie er reagieren sollte. Er konnte niemals einfach auf Alex zugehen und so tun, als wäre nichts gewesen. Dazu hatte der ihn mit seinem Weggang viel zu sehr
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