Tränen im Regen
lieber.
„Darum ging es nicht.“
„Worum dann, verfluchte Scheiße?“, schrie Kilian Alex an. „Wenn du gewollt hättest, dass ich auf dich warte, hättest du mir das sagen müssen. Stattdessen machst mich hier dumm von der Seite an. Wieso? Weil ich es gewagt habe, eine Entscheidung zu treffen, was mein zukünftiges Leben betrifft? Weil ich mich entschlossen habe, nicht darauf zu warten, dass du irgendwann wieder von deinem 'Ich muss hier raus'-Trip herunterkommst?
„Nein, weil ich nicht wusste, wie ich es dir sagen soll.“
„Was denn, verdammt noch mal?“, wollte Kilian stinksauer wissen, worauf Alex zitternd Luft holte und sich mit den Händen übers Gesicht fuhr, bevor er ihn ansah.
„Ich werde sterben.“
Kilian blieb der Mund offenstehen, Mikael glitt sein Weinglas aus der Hand, und alle Anderen schienen entsetzt die Luft anzuhalten.
„Was?“, fragte Kilian, als das Schweigen ohrenbetäubend wurde.
Alex sah zu Boden. „Ich wollte es dir sagen, in der Nacht als Mik uns erwischt hat. Aber ich konnte nicht. Ich wusste es zu dem Zeitpunkt seit sechs Wochen und ich habe den Kopf verloren, nachdem Mik weg war. Ich wollte nur noch weg. Weit weg. Um nachzudenken. Also habe ich dir die Lüge aufgetischt, ich bräuchte eine Auszeit und bin in den ersten Flieger nach Europa gestiegen. In Wahrheit war ich da drüben bei einigen Ärzten und Spezialisten.“ Alex machte ein Geräusch, das irgendwie Lachen und Weinen zugleich war. „Aber der Tumor ist zu groß und an der Stelle, wo er sitzt, können sie nicht operieren, ohne mich dabei umzubringen.“
„Wie viel Zeit bleibt dir noch?“, fragte Connor, während Kilian darum kämpfte, auf den Beinen zu bleiben, die ihn irgendwie nicht mehr tragen wollten.
„Sechs Monate. Wenn ich Glück habe.“
„Oh Gott“, murmelte Mikael fassungslos und da gab Kilian nach und ließ sich ins Gras sinken. Dale war sofort bei ihm, kam aber nicht dazu etwas zu sagen, denn sein Pieper ging vorher los.
„Verdammt“, fluchte Dale und sah auf die Anzeige. „Scheiße.“
Kilian wusste, was das hieß. „Geh' ruhig.“
„Nein“, wehrte Dale rigoros ab, aber Kilian hielt sein Kinn fest, als Dale zum Handy greifen wollte.
„Der Fall ist wichtig. Also geh.“ Kilian schüttelte den Kopf, als er sah, dass Dale ihm erneut widersprechen wollte. „Beeil' dich einfach.“
- 11. Kapitel -
Nachdem Dale gegangen war, sagte für einige Zeit niemand mehr etwas, und am meisten tat es Kilian um Nathan leid. Mit gerade erst zehn Jahren zu erfahren, dass ein Mitglied der Familie sterben würde, war nichts, was er einem Kind wünschte. Es war auch nichts, das er sich selbst wünschte, wurde Kilian bewusst, als der erste Schock sich nach und nach legte. Jetzt ergab Alex' Verhalten einen Sinn.
Alles ergab plötzlich einen Sinn. Alex' Weggang vor vier Monaten, Adrians Weigerung darüber zu reden, all die vielen unbeantworteten Fragen, die Alex mit nur drei Worten beiseite gefegt hatte. Kilian hatte sich noch nie zuvor so sehr gewünscht, die Zeit zurückdrehen zu können. Alex würde sterben und es gab nichts, was sie dagegen tun konnten. Außer danebenstehen und dabei zusehen. Kilian hatte keine Vorstellung, wie das gehen sollte. Wie er die nächsten sechs oder weniger Monate überstehen konnte, ohne zusammenzubrechen. Ja, er war wütend auf Alex, aber gleichzeitig war seine Wut auf einmal zur Nebensache geworden.
„Wieso hast du nichts gesagt?“, fragte Niko kaum hörbar, der bislang geschwiegen hatte. „Wieso bist du einfach abgehauen? Wieso hast du uns die ganze Zeit in dem Glauben gelassen, dass alles in Ordnung ist? Wieso, Alex?“
Alex seufzte und rieb sich die Augen. „Ich konnte damit überhaupt nicht umgehen. Ich habe mir wochenlang eingeredet, dass die Ärzte sich geirrt haben. Dass es nur ein böser Traum ist. Ich meine, ich will nicht sterben. Ich bin nicht mal Vierzig. Ich habe Pläne, ich will alt werden. Ich will mir die Welt ansehen und über die Route 66 fahren.“ Kilian kämpfte mit den Tränen, als Alex ihn anschaute. „Dein Traum, schon vergessen? Diese Nachricht hat meine ganze Welt zum Einsturz gebracht und als Mik uns dann auch noch erwischte, ist mir eine Sicherung durchgebrannt. Deshalb bin ich gegangen. Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich begriffen habe, was mein Arzt zu mir gesagt hat. Und ich schätze, ich hätte es noch viel länger verdrängt, wenn die Kopfschmerzen nicht angefangen hätten.“
„Kopfschmerzen?“ Kilian schloss für
Weitere Kostenlose Bücher