Tränen im Regen
kannte er ihn gar nicht, dazu war ihre große Familie einfach viel zu verzweigt. Alles, was er wusste war, dass er den ruhigen Mann neben sich gern hatte, eben weil er so ruhig und ausgeglichen war. Genau wie Connor, aber der war ohnehin auf einer Wellenlänge mit David und ihm. Künstler unter sich, hatte Adrian es einmal scherzhaft genannt, als sie bei einem Campingwochenende vor ein paar Jahren bis tief in die Nacht vor ihrem Zelt gesessen und sich über Malerei und Bücher ausgetauscht hatten.
„Versuch' nicht, allzu stark zu sein“, sagte Daniel irgendwann in die Stille der Nacht hinein und riss ihn aus seinen Gedanken.
„Was?“, fragte Kilian nach, weil er nicht verstand, worauf Daniel mit seinen Worten hinauswollte.
„Als ich so alt war wie du, versuchte Connor immer stark für mich zu sein.“ Daniel lächelte ihn an. „Es funktionierte nur nicht sehr gut. Ich musste meinen eigenen Weg gehen.“
Kilian schüttelte den Kopf, als ihm dämmerte, was Daniel meinte. „Du hast nicht im Sterben gelegen. Das ist nicht dasselbe.“
„Im Grunde schon“, hielt Daniel dagegen und sah nach vorn. „Alex, Dale und du, das ist eine explosive Mischung, das weißt du selbst am Besten. Alex liebt dich und er wollte dir ersparen, was jetzt vor euch liegt. Ich behaupte nicht, dass das richtig war, aber ich kann ihn verstehen. Ich hielt mich sehr lange Zeit nicht gut genug für Connor. Ich dachte, mit einem anderen Mann wäre er besser dran und hätte ein schöneres Leben. Dale denkt das übrigens auch, was dich betrifft.“
Kilian schnaubte. „Das ist doch Blödsinn.“
Daniel schmunzelte und schaute ihn wieder an. „Nein, es ist kein Blödsinn, und du weißt das, Kilian. Dale ist Polizist und er weiß, was es für dich bedeutet, wenn ihr zusammenbleibt. Dale weiß genau, dass jederzeit die Möglichkeit besteht, dass er im Dienst getötet wird, und damit würdest du nicht gut klarkommen.“
„Dann hat er sich nicht töten zu lassen“, erklärte Kilian trotzig, weil Daniel ins Schwarze getroffen hatte und er sich das nicht eingestehen wollte. „Soll ich ihn deswegen etwa aufgeben und verlassen?“
Daniel schüttelte den Kopf. „Nein. Darum geht es mir auch nicht, Kilian.“
„Worum dann?“
„Du warst bei deiner Mutter, als sie gestorben ist. Kannst du es verkraften, dasselbe mit Alex zu erleben?“
Eine verdammt gute Frage und er hatte keine Antwort darauf. Schon die Vorstellung, Alex beim langsamen Sterben zuzusehen, bescherte ihm heftige Übelkeit und Kilian hatte keine Ahnung, wie er das die nächsten sechs Monate aushalten sollte. Aber er musste es tun. Für Alex. Es gab sonst nichts mehr, was er tun konnte.
„Ich muss“, antwortete Kilian schließlich und rieb sich die Arme, als er plötzlich eine Gänsehaut bekam. „Ich muss das tun. Ich kann ihn doch nicht einfach alleinlassen.“
„Und genau das meine ich, dass du nicht allzu stark sein sollst. Alex weiß, dass er sterben wird, und Dale weiß, was das für dich bedeutet.“ Daniel drückte kurz seine Schulter und stand auf. „Tränen sind keine Schwäche, Kilian. Denk immer daran, denn wenn ich nicht komplett falsch liege, was dich betrifft, wirst du in den nächsten sechs Monaten mehr als einmal weinen.“
Kilian blieb nicht lange allein. Scheinbar war Schlaf heute Nacht Mangelware, dachte er, als er Schritte hinter sich hörte, die kurz darauf innehielten. Er wusste, wer hinter ihm stand, und er wusste auch, dass er seinem Onkel noch eine Entschuldigung schuldig war, wegen dem, was er in seinem Haus zu Adrian gesagt hatte, bevor er Dale nach New York City nachgereist war.
„Ich hasse dich nicht. Ich glaube, ich weiß gar nicht, wie so was geht. Jemanden wirklich zu hassen, meine ich.“ Kilian zog die Knie an und legte die Arme um seine Beine. „Ich war nur so... so... wütend auf dich, weil du nichts wegen Dale und vor allem wegen Alex sagen wolltest. Jetzt ist mir klar warum.“
Adrian sagte nichts, aber er setzte sich hinter ihn und legte die Arme um ihn, so als wolle er ihn beschützen. Früher, als er jünger gewesen war, hatte Adrian das oft gemacht. Besonders in den ersten Wochen, nachdem Kilian klar geworden war, dass aus Josey und ihm niemals ein Paar werden würde. Sein erster Liebeskummer und sein Onkel war da gewesen. Genau wie seine Väter. Aber irgendwie war es immer etwas Anderes, wenn Adrian ihn festhielt, als wenn Colin oder Mikael das taten. Oder Dale. Adrian und David waren wie zwei weitere Väter in seinem
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