Tränen im Regen
sein restliches Leben so leben, wie es ihm möglich war und dagegen konnte man schlecht Widerspruch einlegen. Immerhin war es Alex, der todkrank war und niemand sonst. Leichter machte es das Ganze für Kilian trotzdem nicht, aber damit hatte er auch nicht gerechnet. Statt also seine Zeit mit Diskussionen zu vergeuden, hatte er tagelang vor dem Computer gesessen und nach Informationen über das Glioblastom gesucht. Mit dem Ergebnis, dass er jetzt mehr darüber wusste, als er jemals hatte wissen wollen.
Wenn auch nur ein Bruchteil von dem eintraf, was alles möglich war, stand Alex eine verdammt harte Zeit bevor. Kopfschmerzen, die oft in der Nacht oder am frühen Morgen auftraten. Dazu kam Verwirrtheit, Konzentrationsschwierigkeiten, Übelkeit, Stimmungsschwankungen, Lähmungen, Sprachstörungen, Schwindelanfälle und teilweise sogar epileptische Anfälle. Am schlimmsten fand Kilian allerdings jene Fälle, in denen die Betroffenen ihr Wesen und ihren Charakter veränderten. Er hoffte, dass Alex wenigstens das erspart bleiben würde.
Außerdem hoffte Kilian, dass er in nächster Zeit irgendeinen Weg fand, sich mit Alex auszusöhnen. Bislang ging er ihm aus dem Weg, genau wie Niko es tat. Er wusste, dass es Mikael wehtat, wie sie derzeit umeinander herumschlichen, aber Kilian brachte es nicht fertig über seinen Schatten zu springen. Alex hatte ihm mit seinem Weggang zu sehr wehgetan. Ein Punkt, über den er bisher nicht hinwegsehen konnte, auch wenn Dale bereits mehrfach versucht hatte, mit ihm darüber zu reden.
Sein Freund ging ganz normal mit Alex um, sobald sie bei seinen Vätern waren, und Kilian wusste nicht, ob er Dale dafür bewundern oder neidisch sein sollte, weil er selbst das nicht konnte. Kilian war frustriert, wütend, traurig und genervt zugleich, was er so gut es ging beim Malen verarbeitete. Die Bilder würde er zwar niemals verkaufen können und er vermied es auch, sie irgendjemandem zu zeigen, aber sie halfen Kilian zumindest, mit dem Chaos seiner Gefühlswelt besser umzugehen. Eine Dauerlösung war das allerdings nicht.
„Colin will keine Geburtstagsfeier.“
Kilian schreckte aus seinen Gedanken an den gestrigen Nachmittag, den Dale und Alex mit Kartenspielen im Garten verbracht hatten und sah zu seinem Vater, der am Herd stand und sich um das Abendessen kümmerte. Heute würde es Spaghetti mit Fleischbällchen geben, seit Jahren sein Lieblingsessen, während morgen Alex auswählen durfte. Irgendwie hatte sich das in den letzten Wochen so eingebürgert, dass jeden Abend ein Anderer wählte, was es zum Essen gab. Kilian konnte sich kaum noch daran erinnern, wann er zuletzt seine eigene Küche benutzt hatte. Vom Kaffeekochen mal abgesehen.
„Und wieso will er keine Party?“, fragte Kilian nach, als Mikael nichts mehr sagte.
„Er meinte, die letztes Jahr hätte ihm gereicht.“
Kilian grinste unwillkürlich. „Hey, das zählt nicht. Man wird nur einmal im Leben Fünfzig.“
„Habe ich ihm auch erklärt“, sagte Mikael nickend. „Daraufhin hat dein Vater gesagt, er wird den Teufel tun und seinen Geburtstag feiern, wenn er in ein paar Monaten auf die Beerdigung eines seiner Söhne gehen kann.“
Kilians Grinsen fiel in sich zusammen. Wieso wunderte ihn so eine Aussage nicht? Colin kam mit der Situation genauso wenig klar wie alle Anderen, allerdings konnte der Großteil es momentan bedeutend besser verbergen. Außerdem, auch wenn Alex und Niko theoretisch zu Mikael gehörten, für Colin waren die Brüder wie eigene Kinder. Was genauso für die Zwillinge, Isabell, Julien, Hannah, Amber und Nathan galt. Colin machte keine Unterschiede, das hatte er noch nie getan. Was auch der Grund dafür war, dass Dale für Colin ebenso zur Familie gehörte.
„Was hast du gesagt?“, wollte Kilian schließlich wissen und Mikael zuckte die Schultern.
„Dass es sein Geburtstag ist und er machen kann, was er will. Und wenn er keine Party will, dann gibt’s eben keine.“
Kilian wollte erst widersprechen, ließ es aber bleiben, weil ihm keine vernünftigen Gegenargumente einfielen. Colin hatte recht. Es war sein Geburtstag und wenn er den nicht feiern wollte, dann mussten sie das akzeptieren. Die Zeichnung von Gwen würde Kilian seinem Vater aber trotzdem schenken, entschied er und machte die Zeitung zu, als ihm auffiel, dass er noch immer den Sportteil vor sich zu liegen hatte, wie vor einer halben Stunde, als er zu Mikael in die Küche gegangen war. Eigentlich hatte er vorgehabt mit Mikael über das
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