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Tränen im Regen

Tränen im Regen

Titel: Tränen im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathilda Grace
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heller Panik und betete, dass es noch nicht zu spät war. Er hörte Colin und Mikael miteinander reden, es folgten schnelle Schritte, das Klappen mehreren Türen und dann auf einmal herrschte Stille. Lähmende Stille. Kilian traten die Tränen in die Augen. Er fing an zu beten.
    „Dad?“, fragte er ängstlich ins Telefon. Stille. „Dad?“
    „Komm nach Hause.“
    Kilian hätte vor Schreck fast das Handy fallenlassen, so stark zuckte er zusammen. „Dad?“
    „Komm einfach nach Hause.“
    „Nein.“ Colin schwieg und das war Antwort genug für Kilian. „Nein, nein, nein...“
    Er taumelte nach hinten weg, das Handy glitt ihm aus den Fingern, zerschellte auf dem Boden. Er spürte, wie Dale nach ihm griff, ihn festhielt und in seine Arme zog, während er weinte und schrie und sich weigerte zu glauben, was er bereits vor dem Anruf gewusst hatte, denn Alex war tot.
    Sein Bruder hatte sich das Leben genommen.

    Es regnete in Strömen.
    Seit Tagen klatschten Millionen von Regentropfen unaufhaltsam gegen die Fenster seines Ateliers. Ein ungewöhnliches Wetter für Ende November, denn meistens hatte die Sonne um diese Jahreszeit noch die Oberhand. Aber irgendwie schien sich das aktuelle Herbstwetter dem gefühlsmäßigen Durcheinander anzupassen, das momentan in Kilian tobte.
    Bis vor drei Wochen hatte Kilian Regen geliebt. Das gleichmäßige Geräusch, die damit einhergehende Stille auf der Straße und die erste Zeit danach, wenn die Luft frisch und sauber roch. Regen hatte ihn immer beruhigt und ihm beim Zeichnen geholfen, aber das war vorbei.
    Alles war vorbei.
    Kilian malte nicht mehr. Alex war jetzt seit drei Wochen tot und seither hatte er keinen Stift und keinen Pinsel mehr in den Händen gehabt. Stattdessen saß er Stunde um Stunde hier oben, starrte die letzten Bilder an, die er gemalt hatte, und fragte sich, wann er aus diesem Alptraum wieder aufwachen würde. Kilian wusste, dass er nicht träumte oder an einer Wahnvorstellung litt, auch wenn er es sich wünschte. Dazu waren seine Erinnerungen an Alex' Beerdigung viel zu lebendig. Dabei hatte er kaum etwas mitbekommen. Er war zu sehr damit beschäftigt gewesen, den Regen zu beobachten und die Tränen zurückzuhalten. Es war ihm gelungen, bis er seine Haustür hinter sich zugemacht und die Welt ausgeschlossen hatte.
    Seither hatte er weder auf Anrufe, noch auf Klingeln und Klopfen reagiert. Er hatte sämtliche Nachrichten auf dem Anrufbeantworter gelöscht, ohne sie anzuhören. Colin, Mikael, Adrian, Devin und nur Gott wusste, wer noch auf sein Band gesprochen hatte, Kilian hatte die Ohren davor verschlossen. Er wollte niemanden sehen und hören. Er wollte nur in Ruhe gelassen werden, bis er einen Weg gefunden hatte, um zu begreifen und vor allem zu akzeptieren, dass Alex tot war.
    Gestorben in der Badewanne. Voll bekleidet hatte er sich mit einer Rasierklinge die Pulsadern aufgeschnitten und außer Abschiedsbriefen für alle Familienmitglieder nichts zurückgelassen.
    Die ersten Tage hatte er darüber nachgedacht, einfach eine Tasche zu packen und zu verschwinden. So wie Alex im Frühjahr. Kilian war nur geblieben, weil er wusste, dass Adrian und Dale sofort Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hätten, um ihn zu finden, sobald sein Abtauchen bemerkt worden wäre. Aber selbst wenn er gegangen wäre, wohin hätte er gehen sollen? Die Welt schien im Moment nicht groß genug zu sein. Jedenfalls nicht für ihn.
    Unten klappte die Tür und Kilian horchte auf. Dale vermutlich. Er war vor einer Stunde losgezogen, um einzukaufen. Dale Turner. Sein Dale. Die einzige Person, die er in den vergangenen Wochen neben sich geduldet hatte, denn alle Versuche, Dale aus dem Haus zu treiben, hatten nicht funktioniert.
    Kilian hatte ihn tagelang ignoriert, Dale war geblieben. Er hatte ihn angeschrien, Dale war geblieben. Er hatte ihn geschlagen, als Dale ihn zum ersten Mal mit Gewalt aus dem Atelier gezerrt hatte, damit er aß, duschte und schlief, Dale war trotzdem geblieben. Mit einer stoischen Ruhe hatte Dale all seine Launen über sich ergehen lassen und war geblieben. Irgendwann hatte Kilian aufgehört, sich daran zu stören. Dale war da und würde es auch bleiben. Kämpfe führten sie allerdings immer noch. Bevorzugt um Essen und Schlafenszeiten, manchmal auch wegen der Dusche. Allgemein gewann Dale.
    Es war jedoch nicht Dale, der kurz darauf durch die Tür ins Atelier trat, eine Babyschale in der Hand. Kilian konnte seine Verblüffung nicht

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