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Traenenengel

Traenenengel

Titel: Traenenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Gehm
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nicht ertragen.
Hätte er mich so gesehen, wäre ich aus seinem Kopf ausgelöscht gewesen.
     
    Die Tür geht auf. Ihre Freundin, in der Hand eine Tasse Tee. Als hätte sie eine Erkältung. Als könnte Tee helfen.
    Sie sitzen nebeneinander. Am Boden. Reden viel. Sagen nichts.
    Sie spürt, dass Trixi sauer ist. Hat die Wut in sich gestopft, Mülltonne, Deckel drauf. Mit Gelaber beschweren. Genau das,
     was sie einst hassten. Was nur die anderen taten. Sie hatten sich dagegen verschworen.
    Alles anders seit der Nacht. Sie ist anders. Entstellt. Gezeichnet. Ein fremdes Bild. Verunsichert sie. Nur keinen Müll auf
     diese Fremde schütten.
    Sie weiß auch so, worum es geht. Immer und immer und immer wieder geht es darum. Um diese Nacht am See. Um Andro. Um Vertrauen.
     Um das, was seit dem Abend am See zwischen ihnen liegt. Was sie ihr nicht erklären kann.
    Sie reden träge, wie zwei Junkies am Ende des Trips. Vorsichtig kriechen die Wörter aus ihr heraus, als hätte sie Angst, sie
     könnten auf eine Tretmine fallen. Sie sieht auf den Mund der anderen, die Wörter wie Schnecken. Bei der kleinsten Berührung
     ziehen sie sich in ihr Haus zurück.
    Sie wendet den Blick ab. Starrt an die Wand. Nebenan wummert Musik. Ein Presslufthammer auf ihrer Schädeldecke. Trixi bewegt
     die Zehen im Takt, schiebt unbewusst den Kopf vor und zurück. Es kommt ihr vor wie ein Verrat.
    Dann fragt auch sie.
    Erinnerst du dich?
    Erinnerst du dich?
    Erinnerst du dich?
    Nein, sagt sie.
    Es gibt nichts zu erinnern. Ich habe nie etwas vergessen.
    ***
    Zeugenvernehmung von Konstantin Schmidbauer
     
    Zur Person
    Name: Schmidbauer
    Vorname: Konstantin
    Geb. Datum: 11.   2.   60
    Beruf: Gastwirt
    Wohnort: Telpen
    Adresse: Langerweg 57
     
    (Vernehmung durchgeführt von Polizeimeister Kessel)
     
    Zur Sache
    Herr Schmidbauer betreibt im Langerweg 57 die Gastwirtschaft »Zum langen Atem«. Er gibt an, dass heute gegen 11   Uhr ein Mann seine Gastwirtschaft betrat, in dem er mit hoher Wahrscheinlichkeit den vor einigen Tagen aus der Telpener JVA
     entflohenen Häftling Silvio Zinke wiedererkannt hat. Schmidbauer sagte wörtlich:
»Zu 99   % war das dieser Zinke, von dem das Foto in der Zeitung war.«
    Der gesuchte Häftling hielt sich nach Angaben von Herrn Schmidbauer nur kurz in seiner Gastwirtschaft auf. Er betrat den Speiseraum,
     sah sich um und ging dann auf einen Zigarettenautomaten zu. Er zog sich eine Packung Zigaretten (Herr Schmidbauer meint, es
     waren Pall Mall) und verließ dann wieder umgehend das Gebäude. Als der Gastwirt auf die Straße trat, war von dem Mann nichts
     mehr zu sehen. Herr Schmidbauer ist sich allerdings sicher, kein Auto oder sonstiges Fahrzeug gehört zu haben.
    Laut Aussage des Gastwirtes trug Silvio Zinke eine Sonnenbrille, eine alte, dunkelblaue Wollmütze, ein verwaschenes gelblich
     weißes T-Shirt sowie eine verschmutzte, blaugraue Latzhose und derbe Schuhe.
    ***
    Es war schon die fünfte Tasse Pfefferminztee an diesem Tag. Leif Sälzer nahm einen Schluck, stellte die Tasse auf dem Schreibtisch
     ab und reichte seinem Praktikanten am Schreibtisch gegenüber das Vernehmungsprotokoll von Konstantin Schmidbauer.
    »Sonnenbrille, Wollmütze, Latzhose – das kann doch jeder sein. Wie will er denn Zinke da erkannt haben?«
    »Er hat eine ziemlich markante Nase«, erwiderte Masaryk und überflog das Protokoll.
    »Die hat Mike Krüger auch«, brummte Sälzer.
    »Nach allen Hinweisen aus der Bevölkerung war Zinke jetzt bald in so ziemlich jeder Ecke der Stadt. Dem scheint es in Telpen
     zu gefallen.«
    »Ich würde an seiner Stelle zusehen, dass ich wegkomme. Weit weg. Und schnell. Vielleicht hat er das ja auch gemacht.«
    »Und all die Leute haben Gespenster gesehen?«
    Sälzer zuckte die schweren Schultern. »Das ist wie mit den Ufos. Die haben eine Zeit lang auch alle gesehen.«
    »Sie glauben nicht, dass Zinke unser Mann ist, oder?«
    »Wäre das nicht irgendwie zu einfach: Ein Sexualverbrecher flieht aus dem Gefängnis und in derselben Nacht wird in derselben
     Gegend ein Mädchen misshandelt.«
    »Manchmal sind es einfach die naheliegendsten Sachen.«
    Das wusste Sälzer nur zu gut. Mehr aus sportlichem Ehrgeiz als aus Überzeugung argumentierte er weiter. »Wieso sollte Zinke
     so etwas tun? Diese ganze Geschichte am See – das passt nicht zu ihm. Erstens wäre es dumm, auf der Flucht solche Spuren zu
     hinterlassen und die Liste seiner Verbrechen zu verlängern   ...«
    »Er wäre nicht der erste

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