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Traenenengel

Traenenengel

Titel: Traenenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Gehm
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jeden Blick in Floras Richtung, redete, als wäre sie nicht da. »Als ich sie dort am See gesehen habe,
     erst mit ihrem Freund und dann alleine, da habe ich alles erst einmal richtig begriffen. Vorher hatte ich echt noch Hoffnung.
     Ich Vollidiot.«
    »Was hast du begriffen?«, fragte Sälzer ruhig.
    »Dass es niemals passieren wird. Dass Flora und ich niemals zusammenkommen werden. Dass sie lieber einen Freund hat, mit dem
     sie sich streitet, der danach einfach abhaut, und dass sie wahrscheinlich sogar dann lieber alleine ist als mit mir zusammen.
     Wie sie so zusammengekauert dasaß   ... ich weiß nicht, ich konnte mir nicht mehr vorstellen, dass ich jemals neben ihr sitzen würde. Mir wurde klar, dass ich
     immer nur ein Zuschauer sein würde. Dass ich da nicht mitspielen kann.« Patrick holte Luft. »Als sie mir vor ein paar Wochen
     gesagt hat, dass sie sich nicht mit mir treffen will, habe ich das nicht so schlimm gefunden. Ich dachte,
jetzt
will sie das nicht, dachte, meine Chance würde noch kommen, ich müsste nur warten. So, wie ich die letzten Jahreschon gewartet hatte. Aber an dem Abend am See begriff ich, dass diese Chance niemals kommen würde. Dass ich nicht weitermachen
     konnte wie bisher. Flora von der Ferne verehren, als wäre sie ein Engel und kein Mensch. Fotos an meiner Schranktür von ihr
     aufhängen wie Heiligenbilder in einem Altar. All dieser kranke Schwachsinn. Mir wurde klar, dass ich die Flora in meinem Kopf
     zerstören musste, dieses Bild, das ich von ihr hatte. Was wahrscheinlich sowieso ganz anders war als die Vorlage.« Patrick
     sah kurz zu Flora.
    »Und um dieses Bild zu zerstören, hast du der lebenden Vorlage auch ein paar ordentliche Kratzer verpasst?«, fragte Sälzer.
    Patrick schüttelte den Kopf, fuhr sich kurz mit der Zunge über die trockenen Lippen und sprach weiter: »Ich wollte nur noch
     weg vom See, weg von ihr. Unbewusst war mir klar, dass die Flora, die da saß, nicht viel mit der Flora in meinem Kopf zu tun
     hatte. Ich ging zu meinem Liegerad und fuhr so schnell nach Hause wie noch nie. Ich dachte, ich könnte mir die Wut, die Traurigkeit,
     die Verzweiflung, dieses ganze blöde Weltschmerzgemisch aus dem Leib fahren. Zu Hause ging ich gleich in mein Zimmer. Ich
     wollte mit niemandem reden. Schon gar nicht mit meinem Vater, der solche Sachen sowieso nicht versteht.«
    »Was hast du in deinem Zimmer gemacht?«, fragte Masaryk von hinten.
    Patrick fuhr sich mit der Hand über den Mund, dann redete er weiter: »Ich habe die Schranktür aufgerissen und die Fotos angestarrt.
     Im ersten Moment wollte ich sie alle abreißen, zerfetzen, verbrennen. Erst da habe ich gemerkt, dass ich das Angelzeug und
     den Karpfen noch bei mir hatte. Es war dann wie im Affekt. Ich holte aus und schleuderte den toten Karpfen auf die Fotos.
     Alles war voller Blut. Ich   ... ich schlug immer wieder mit dem Karpfen auf die Schranktür. Immer heftiger. Immer schneller. Ich wollte alles auslöschen,
     wollte, dass Flora verschwand.« Patrick sah zu Boden.
    Einen Moment sagte niemand etwas.
    »Und dann?«, fragte Sälzer nach einer Weile.
    »Nichts und dann. Mehr war nicht«, erwiderte Patrick. »Ich bin nicht noch mal an den See gefahren. Ich weiß nicht, was dort
     passiert ist. Ich war den ganzen Abend in meinem Zimmer.«
    »Und was willst du jetzt hier? Du wolltest die Flora in deinem Kopf doch auslöschen. Stell ich mir schwer vor, wenn sie direkt
     vor dir steht«, sagte Sälzer.
    Patrick sagte leise: »Ich wollte Flora nur kurz etwas vorbeibringen. Wegen der Sache am See. Ich meine das, was danach passiert
     ist, als ich schon weg war. Wäre ich länger geblieben, wäre es vielleicht nicht passiert.« Patrick sah zu dem zerbrochenen,
     kleinen Gegenstand, der noch immer in braunes Papier gewickelt vor der Wohnungstür der Duves am Boden lag. »Das war ein Schutzengel.«
    Sälzer sah einen Moment auf den zerbrochenen Schutzengel, dann zu Patrick und holte tief Luft.
    »Er hat recht«, sagte Flora auf einmal. »Er war es nicht. Er kann es nicht gewesen sein.«
    »Wie kommst du darauf?« Sälzer wandte sich von Patrick ab und Flora zu.
    In dem Moment ging das Licht im Treppenhaus aus. Flora blieb bewegungslos in der Wohnungstür stehen. Das gedämpfte Flurlicht,
     das sie von hinten beleuchtete, ließ ihren Körper wie eine schwarze Scherenschnittsilhouette aussehen.
    Sälzer drückte hinter sich auf den Lichtschalter und das Licht ging wieder an.
    »Ich weiß, dass er es nicht

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