Träum süß, kleine Schwester
purpurroter Lippenstift wirkte intensiver, weil ihr Gesicht kalkweiß wurde.
»Du hast mich sehr gut verstanden. Ich habe Beweise dafür. Ernie, zieh dein Hemd aus. Zeig dieser Verführerin von Ehemännern deinen Ausschlag.«
»Ausschlag?« stöhnte Loretta.
»Giftsumach, genau wie deiner. Hat auf seiner Brust begonnen, als du die Hand unter seine Unterwäsche schobst, um zu dem Los zu gelangen. Komm schon.
Leugne es! Sag Jimbo, daß du nichts von einem Los weißt, daß du und Ernie nur ein kleines Techtelmechtel hattet.«
»Du lügst. Verschwinde von hier. Knöpf das Hemd nicht auf, Ernie.« Loretta packte fieberhaft Ernies Hände.
»Was für ein großer Mann dein Jimbo ist«, stellte Wilma bewundernd fest, als er aus dem Lastwagen kletterte. Sie winkte ihm zu. »Ein wirklich großer Mann.« Sie drehte sich um. »Zieh auch die Hose aus, Ernie.« Sie ließ das Rollo los und ging rasch zu Loretta. »Er hat den Ausschlag auch dort unten «, flüsterte sie.
»O mein Gott. Ich hole es. Ich hole es. Laß die Hose an!« Loretta rannte in das kleine Eßzimmer und riß den Wandschrank auf, der die Reste des Porzellanservices ihrer Mutter enthielt. Sie hob mit zitternden Händen die Zuckerschale heraus. Als sie nach dem Lotterielos griff, entglitt ihr die Schale und zerbrach. In dem Augenblick, in dem sie Wilma das Los in die Hand drückte, drehte sich Jimbos Schlüssel im Schloß. »Verschwindet jetzt. Und haltet den Mund.«
Wilma setzte sich auf die rot-schwarz karierte Couch.
»Es wäre wirklich merkwürdig, wenn wir jetzt hinausstürmen würden. Ernie und ich werden dir und Big Jimbo bei einem Weihnachtsdrink Gesellschaft leisten.«
Die Häuser in ihrem Block waren auf den Dächern mit Weihnachtsmännern, auf dem Rasen mit Engeln und um die Fenster mit Lichterketten geschmückt. Als sie ausstiegen, bemerkte Wilma mit friedlichem Lächeln, daß es eine wirklich hübsche Wohngegend war. Drinnen überreichte sie Ernie das Los. »Steck es in meine Strumpfhose, wie du es vorgehabt hast.«
Er ging gehorsam ins Schlafzimmer und suchte ihre Lieblingsstrumpfhose heraus, die weiße mit den Straßsteinen. Sie stöberte in seiner Schublade und förderte einen seiner eleganten Socken zutage; er war etwas unförmig, weil Wilma nicht besonders gut stricken konnte, gehörte aber trotzdem zu seinem besten Paar. Während sie die Strümpfe an dem Sims über dem Schein-Kamin befestigte, sagte Ernie:
»Wilma, ich habe …«, seine Stimme sank zu einem Flüstern herab, »dort unten keinen Giftsumach.«
»Davon war ich überzeugt, aber es hat gewirkt. Jetzt steck das Los in meine Strumpfhose, und ich stecke dein Geschenk in deinen Socken.«
»Du hast mir ein Geschenk gekauft? Nach all den Schwierigkeiten, die ich dir gemacht habe? O Wilma!«
»Ich habe es nicht gekauft. Ich habe es aus dem Medikamentenkästchen ausgegraben und eine Schleife drum gebunden.« Wilma ließ mit glücklichem Lächeln eine Flasche mit Galmei-Tinktur, wie man sie bei Ausschlägen verwendet, in Ernies Socken plumpsen.
Der blinde Passagier
Carol fröstelte in ihrer rauchblauen Uniformjacke und versuchte, ihr wachsendes Unbehagen zu ignorieren. Als sie sich im Warteraum des Flugplatzes umsah, dachte sie, daß die farbenfroh gewandeten Trachtenpuppen in den Schaukästen einen unpassenden Hintergrund abgaben für die finster dreinblickenden Polizisten, die vor ihnen patrouillierten. Die Handvoll Passagiere standen dicht beieinander, beobachteten sie mit haßerfüllten Augen.
Sie ging auf sie zu und hörte einen der Passagiere sagen:
»Die Verfolgungsjagd dauert zu lange. Das mißfällt den Jagdhunden.« Er wandte sich an Carol:
»Wie lange fliegen Sie schon, Stewardeß?«
»Drei Jahre«, erwiderte Carol.
»Auch dafür sehen Sie noch viel zu jung aus. Aber wenn Sie erst mein Land vor der Besetzung gekannt hätten … In diesem Raum herrschte immer so eine heitere Stimmung.
Als ich nach meinem letzten Besuch in die Staaten zurückflog, gaben mir zwanzig Verwandte das Geleit.
Diesmal hat sich kein einziger hergewagt. Es ist nicht ratsam, sich mit amerikanischen Angehörigen in der Öffentlichkeit zu zeigen.«
Carol senkte die Stimme. »Heute sind so viel mehr Polizisten hier als sonst. Wissen Sie, warum?«
»Ein Mitglied der Untergrundbewegung ist geflohen«, flüsterte er. »Vor einer Stunde wurde er hier in der Nähe gesichtet. Sie werden ihn sicher erwischen, aber das muß ich hoffentlich nicht mit ansehen.«
»Wir gehen in fünfzehn Minuten an
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