Träum weiter, Liebling
das Foto von G. Dwayne Snopes, das ihr von dem roten Plakat an der Wand entgegenstarrte.
Sünderin! Hure!
Sie schlüpfte in ihr Kleid, während Bonner zur Tür ging und sie wieder aufschloss. Aber er stieß die Türflügel nicht auf. Statt dessen stemmte er die Hände in die Hüften und ließ den Kopf auf die Brust sinken. Seine Schultern hoben und senkten sich, als würde er nach Luft ringen.
»He, Gabe, ich hab deine Nachricht bekommen. Wo -«
Reverend Ethan Bonner erstarrte, als er sie erblickte. Er war blond und sah umwerfend gut aus, mit fein geformten Gesichtszügen und sanften Augen; er war das vollkommene Gegenteil seines Bruders.
Sie sah genau den Moment, in dem er sie erkannte. Sein weicher Mund verdünnte sich zu einem Strich, und in seine sanften Augen trat ein Ausdruck tiefer Verachtung. »Na sieh sich das mal einer an. Wenn das nicht die Witwe Snopes ist, die uns da ein zweites Mal heimsucht.«
3
Gabe wandte sich bei Ethans Worten um. »Wovon redest du?«
Rachel spürte an der Art, wie Ethan seinen Bruder ansah, ein Bedürfnis, den Älteren zu beschützen. Er trat näher, als wolle er sich vor ihn stellen, was lächerlich war, denn Gabe war größer und auch viel kräftiger als Ethan.
»Hat sie dir denn nicht gesagt, wer sie ist?« Er musterte sie mit unverhohlener Verachtung. »Nun, ich denke die Snopes-Sippe war noch nie für ihre Ehrlichkeit bekannt.«
»Ich bin keine Snopes«, erwiderte Rachel hölzern.
»All die armen Trottel, die ihr Geld hergegeben haben, damit Sie in Paillettenkleidern rumlaufen können, würden überrascht sein, das zu hören.«
Gabes Blick wanderte von ihr zu seinem Bruder. »Sie sagt, ihr Name wäre Rachel Stone.«
»Glaub ja nichts, was sie sagt.« Ethan sprach in sanftem Ton mit seinem Bruder, ein Ton, den man gewöhnlich Kranken gegenüber anschlägt. »Sie ist die Witwe des verstorbenen, aber wohl kaum betrauerten G. Dwayne Snopes.«
»Was du nicht sagst.«
Ethan trat weiter hinein in den Imbiss. Er trug ein sorgfältig gebügeltes, blaues Oxfordhemd, Khakihosen mit einer scharfen Bügelfalte und blitzblank polierte Lederschuhe. Sein blondes Haar, die blauen Augen und die regelmäßigen Gesichtszüge bildeten einen scharfen Gegensatz zu den kantigen, brutal gutaussehenden Zügen seines Bruders. Ethan hätte einer von Gottes auserwählten Engeln sein können, während Gabriel, trotz seines Namens, nur einem weniger himmlischen Königreich entstammen konnte.
»G. Dwayne ist vor etwa drei Jahren umgekommen«, erklärte Ethan in dieser besorgt-sanften Stimme, die man Totkranken vorbehält. »Du hast damals in Georgia gelebt. Er war dabei, sich mit ein paar Millionen Dollar, die ihm nicht gehörten, aus dem Staub zu machen.«
»Ich erinnere mich, davon gehört zu haben.« Gabes Kommentar schien eher aus Gewohnheit als aus wirklichem Interesse geäußert zu werden. Sie fragte sich, ob ihn überhaupt irgend etwas interessierte. Ihr Striptease jedenfalls nicht. Sie erschauderte und versuchte, nicht daran zu denken, was sie getan hatte.
»Sein Flugzeug ist über dem Meer abgestürzt. Seine Leiche hat man zwar gefunden, aber das Geld liegt wohl noch immer am Grunde des Atlantiks.«
Gabe lehnte sich an den Tresen und wandte ihr langsam den Kopf zu. Sie merkte, dass sie ihm nicht in die Augen sehen konnte.
»G. Dwayne war ein ziemlich ehrlicher Kerl, bis er sie geheiratet hat«, fuhr Ethan fort, »aber Mrs. Snopes liebt nun mal teure Autos und schicke Kleider. Er wurde gierig, um sie in Samt und Seide zu halten, und die Art, auf die er Geld sammelte, wurde so unverschämt, dass ihn das am Ende zu Fall brachte.«
»Nicht der erste Fernsehprediger, dem so was passiert«, bemerkte Gabe.
Ethan presste die Lippen zusammen. »Dwayne hat eine Wohlstandstheologie gepredigt. ›Gebt, damit euch gegebenwird.‹ Trennt euch von eurem Geld, selbst wenn‘s euer letzter Dollar ist, und ihr bekommt hundert Dollar dafür zurück. Snopes hat Gott als allmächtigen Geldspucker hingestellt, und die Leute sind scharenweise darauf reingefallen. Er bekam Wohlfahrtsschecks und Geld, das eigentlich für die so notwendige Krankenversicherung bestimmt war. Eine Frau in South Carolina hat Dwayne sogar das Geld geschickt, das sie eigentlich für ihr Insulin gebraucht hätte, da sie Diabetikerin war. Statt es ihr zurückzuschicken, hat Dwayne den Brief laut in seiner Sendung vorgelesen, als Beispiel, dem alle folgen sollten. Es war ein goldener Moment in der Welt der
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