Träum weiter, Liebling
obszön, dass ihr Gehirn nicht gleich begreifen konnte, was es vor sich hatte. Aber ihre Benommenheit währte nicht lange, und sie war gezwungen zu akzeptieren, was sie vor sich sah.
Die glühenden Überreste eines verbrannten Holzkreuzes.
9
Ein eiskaltes Prickeln lief Rachel den Rücken hinunter. »Sie haben ein Kreuz verbrannt, um mir Angst einzujagen«, flüsterte sie.
Gabe stieß die Wagentür auf und sprang hinaus. Im blendend weißen Scheinwerferlicht sah Rachel, wie er den glühenden Trümmern einen Tritt versetzte, dass die Funken nur so flogen. Mit zitternden Knien kletterte sie aus dem Wagen. Ihre Hände wurden feucht, während sie zusah, wie er eine Schaufel von der Ladefläche des Pickups holte und die rauchenden Überreste des Kreuzes zerschlug.
»Ein Schokoladenkuchen als Willkommensgeschenk ist mir lieber«, stieß sie schwach hervor.
»Das hier ist kein Witz, Rachel.« Er fing an, die verkohlten Reste an den Straßenrand zu schaufeln.
Sie biss sich auf die Unterlippe. »Ich muss Witze darüber reißen, Bonner. Alles andere wäre nicht auszudenken.«
Er hielt im Schaufeln inne, und ein gequälter Ausdruck huschte über sein Gesicht. Als er sprach, war seine Stimme ebenso leise und finster wie die Nacht jenseits der Autoscheinwerfer. »Wie machst du das bloß, Rachel? Nie aufzugeben, egal, was kommt?«
Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper. Vielleicht lag es an der Nacht und an dem verbrannten Kreuz, aber die Frage erschien ihr gar nicht seltsam. »Ich grüble nicht. Und ich verlass mich nur auf mich selbst, sonst auf niemanden.«
»Herrgott...« Er seufzte kopfschüttelnd.
»Der Herrgott existiert nicht, Bonner.« Sie stieß ein bitteres Lachen aus. »Hast du das noch immer nicht kapiert?«
»Glaubst du das wirklich?«
Etwas in ihr zerplatzte. »Ich hab alles richtig gemacht! Ich hab mich an die Bibel gehalten! Ich bin zweimal die Woche in die Kirche gegangen, hab jeden Morgen und jeden Abend auf meinen Knien gebetet. Ich hab mich um die Kranken gekümmert und den Armen gegeben! Ich hab meinen Nächsten nie betrogen, und was hab ich dafür bekommen? Nichts! Absolut gar nichts!«
»Vielleicht verwechselst du Gott mit dem Weihnachtsmann.«
»Wag es ja nicht, mir zu predigen, hörst du? Wag das ja nicht!«
Sie stand vor ihm im blendenden Scheinwerferlicht, die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt, und er glaubte, noch nie etwas so Wildes und Schönes gesehen zu haben. Für eine große Frau wirkte sie beinahe zierlich, besaß einen zarten Knochenbau und riesige grüne Augen, die ihr Gesicht zu verschlingen drohten. Ihr Mund war klein, und die Lippen so rot und saftig wie überreife Erdbeeren. Ihr Haar war zerzaust, und mit dem Scheinwerferlicht von hinten bildete es einen fast heidnischen Schein um ihr Gesicht.
Sie hätte lächerlich aussehen müssen. Das alte, farbbespritzte Karokleid schlotterte um ihren mageren Körper, und die groben, klotzigen Schuhe wirkten obszön an ihren zierlichen Fußgelenken. Aber sie hielt sich mit einem wilden Stolz aufrecht, und etwas zog ihn unwiderstehlich zu ihr hin - vielleicht die abgrundtiefe Qual, die seine Knochen bis ins Mark zu durchdringen schien so dass er einfach nicht länger dagegen ankämpfen konnte. Er begehrte sie, begehrte sie so sehr, wie er sich nichts mehr gewünscht hatte, außer den Tod, seit er Jamie und Cherry verlor.
Er konnte sich nicht erinnern, zu ihr gegangen zu sein, doch auf einmal lag sie in seinen Armen, und er fühlte ihren Körper unter seinen Händen. Sie war dünn und zerbrechlich, aber nicht gebrochen, so wie er. Er wollte sie beschützen, sie ficken und trösten und kaputtmachen, alles auf einmal. Das Chaos seiner Gefühle schüttelte ihn, krampfte sich wie Eisenfäuste um seinen Magen und verursachte ihm Todesqualen.
Sie grub ihre Fingernägel in die Muskeln seines Oberarms, schmerzhaft, ohne Rücksicht. Er packte ihr Hinterteil und riss sie an sich. Er strich mit den Lippen über ihre. Sie waren weich und süß. Sein Kopf zuckte hoch.
»Ich will dich«, stieß er hervor.
Ihr Kopf bewegte sich, und er merkte, dass sie nickte. Ihre stumme Akzeptanz erzürnte ihn. Er packte ihr Kinn und riss ihren Kopf hoch, so dass er in ihre gequälten grünen Augen blicken konnte.
»Wieder einmal opfert sich die noble Witwe Snopes für ihr Kind auf«, fauchte er. »Nein, das kannst du vergessen.«
Sie sah ihm unbewegt ins Gesicht, als er sie losließ. Dann packte er die Schaufel und machte sich erneut daran, die
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